ORIGINALITÄT 57 zigartigkeit schöpft, hat in weiten Bereichen dem der Beliebigkeit, Ergebnis einer auf ein Minimum reduzierten Ereignishaftigkeit und kostengünstigen Reproduzier-barkeit, Platz gemacht. Die reproduzierte Musik kennt keine „Emphase des Origi-nals“ und keine „Aura“ mehr. „Im gleichen Zuge, wie Echtheit industriell standar-disiert wird, verabschiedet sich die Vorstellung von Einmaligkeit.“1 Es vollzieht sich also ein temporärer wie räumlicher Bruch zwischen dem in die Zeit eingebundenen Original und der zu jeder Zeit verfügbaren wie reproduzierba-ren Kopie, was Walter Benjamin schon in den 30er Jahren als für das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit kennzeichnendes Merkmal be-schrieb, den Verlust des ‘Auratischen’. Das Auratische im Sinne Benjamins kann als zeitlich wie räumlich bedingte Einmaligkeit und Ferne des Kunstwerkes be-schrieben werden. „Die Einzigkeit des Kunstwerkes ist identisch mit seinem Ein-gebettetsein in den Zusammenhang der Tradition.“2 So wie Einmaligkeit und Dau-er sich in das originale Kunstwerk einschreiben, so ist dem reproduzierten Kunst-werk Flüchtigkeit und Wiederholbarkeit eigen.3 Mit dem Eintritt in das Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit verliert sich somit die Einmaligkeit des Kunst-gegenstandes. „Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks. [...] Von der photographischen Platte zum Beispiel ist eine Vielheit von Abzügen möglich; die Frage nach dem echten Abzug hat keinen Sinn.“4 Es ist an dieser Stelle zu betonen, daß für Walter Benjamin der Verlust des Auratischen selbstredend kein bekla-genswerter Zustand ist, sondern im Gegenteil zu begrüßen ist. Wo eine Vielzahl von Originalen kreist, ist nicht Andacht vor der Einzigartigkeit des Kunstwerkes abverlangt, sondern ein produktives Umgehen mit dem Orginalen. Das aber ist zu begrüßen, weil damit die Trennung zwischen Kunstschaffenden wie Rezipierenden weitgehend aufgehoben ist. Gleichwohl geht mit der Multiplizierung von Kunstwerken ein neues Bedürfnis nach Einzigartigkeit einher, was in groß angelegten Rockkonzerten, in denen das Einzigartige des Ereignisses in den Vordergrund gestellt ist, seine Befriedigung er-fährt. Ähnliches gilt für Rundfunkmoderatoren, die eine Atmosphäre des Unver-wechselbaren und Lebensnahen vermitteln und nach Blaukopfs Einschätzung zur graduellen Restituierung einer verlorenen gegangenen Aura beitragen. Zusammen mit einer zwischen dem Publikum und Künstlern stattfindenden Interaktion, ergibt sich jene authentische, unverwechselbare ‘Live’- Atmosphäre, die sich auch dem bei solchen Anlässen archivierten Musikwerk einschreibt und an der auch der Trä-ger der musikalischen Information zu partizipieren vermag. Eine solche Restituie- 1 Wetzel, Michael: Die Enden des Buches oder die Wiederkehr der Schrift. Weinheim 1991, S. 169 2 Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Ffm 81975, S. 19 3 Vgl. ebd., S. 19 4 Ebd., S. 21. Vgl. hierzu auch: Schläbitz, Norbert: Vom instantanen Datenfluß digital codierter Musik. In: Schulten, Marie-Luise (Hg.): Musikvermittlung als Beruf. Essen 1993