Gesammelte Sammlungen „Die Form der Schallplatte erlaubt in der Musik erstmals etwas dem Sammeln in der bildenden Kunst, zumal der Grafik, Analo-ges; man weiß, wieviel das Sammeln, die Vermittlung des ästhetischen Objekts durch buchstäblichen Besitz, zur Einver-leibung, zum Sachverständnis beitrug.“1 Erst im Zustand einer konkreten Materialität vermag Musik, da nunmehr unver-änderbar und wiederholbar, Identität zu erlangen, in dem Sinne, daß die einer ein-zigartigen Aufführung immanenten musikalischen Charakteristika durch ihre Wie-derholbarkeit konkretisiert und objektiviert zu werden vermögen. Als „gefrorene Vergangenheit“ werden ursprünglich nicht vergleichbare, weil flüchtige Signale, vergleichbar und aufgeführte Musik zum Objekt von Wissenschaft. „Reproduzier-barkeit und Beständigkeit lassen die ‘Identität’ des musikalischen Phänomens ent-stehen und verleihen ihm Charakter; was vergeht, hat keine Identität.“2 Im Phonograph spiegelt sich die Qualität einer jeden Technik wider, nämlich die der zunehmenden Objektivierung, was mit Lyotard und in Anlehnung an Stiegler die Verräumlichung des Sinns meint.3 Dem Vergangenen wird durch die Möglich-keit der Materialisierung des Immateriellen in einer Spur Dauer und Präsenz ver-liehen, während gleichzeitig dabei durch das Ablösen eines Lautes von seinem Ur-heber dessen Existenz nur noch in seiner Absenz, eben als eine vergangene Präsenz bestätigt wird.4 Dauer und Präsenz vermag der Urheber des Sinns, der Urheber der musikalischen Information, nur noch über den Umweg der Objektivierung dersel-ben zu erlangen. Mit anderen Worten: durch die Möglichkeit „sinnliche Qualitä-ten“ zu materialisieren, wird „die Abwesenheit des Lebendigen bekräftigt“5, eine Abwesenheit, die bei der Aufzeichnung von Menschenlauten noch signifikanter hervortritt: „Phonographie besagt den Tod des Autors; sie speichert statt ewiger Gedanken und Wortprägungen eine sterbliche Stimme. [...], posthum schon zu Lebzeiten.“6 Autoren, Komponisten, Interpreten werden wie auch jeder andere Mensch durch das Zeichnen einer Spur in ein Medium der gleichen „konstitutio-nellen Nachträglichkeit des Bedeutens“ unterworfen, wie die Spur selbst. „Die 1 Adorno, Theodor W.: Vermittlung. In: Einleitung in die Musiksoziologie. Zwölf theo-retische Vorlesungen. Reinbek bei Hamburg 1968, S. 145 2 Moles, Abraham A.: Informationstheorie und ästhetische Wahrnehmung. Köln 1971, S. 146 3 Vgl. Lyotard, Jean-François: Das Inhumane. Wien 1989, S. 90 4 Vgl. ebd., S. 90 5 Fischer, Matthias: Die Stimme der Musik und die Schrift der Apparate. In: Fischer, Matthias/ Holland, Dietmar/ Rzehulka, Bernhard: Gehörgänge, a.a.O., S. 24 6 Kittler, Friedrich: Aufschreibesysteme, a.a.O., S. 243