MUSIKGESCHICHTE ALS 68 TECHNIKGESCHICHTE scheinen, doch im Grunde Nähe spiegeln, indem dem Nicht-Bewußten, von gesell-schaftlichen Rechtfertigungszwängen befreit, musikalischer Ausdruck verliehen zu werden vermag. Distanzierungsleistungen sind gleichsam vom Interpreten von Musik abverlangt. In der originalen Aufführung waren Gefallen oder Mißfallen beim Publikum un-mittelbar ablesbar. Es war also ein Kommunikationsverhältnis zwischen Publikum und Interpreten gegeben, das auf Interaktion ausgerichtet war, welches also auch das Aufführungsergebnis nicht unbeeinflußt ließ. „Denn ohne selber weder spre-chend noch musizierend in das Spiel einzugreifen, geht das Publikum mit, reagiert es, antwortet es. Vom Spieler wird diese Antwort wahrgenommen, und sie beein-flußt seinen Vortrag. Dieses einmalige, stets unwiederholbare Wechselspiel ist die Natur der Aufführung.“1 Bleibt zu fragen, inwiefern es noch legitim ist - wie es Flender und Rauhe tun -, von einem, wenn auch „verlangsamten Dialog“ zu spre-chen, fällt in jener Kommunikationssituation doch eines aus, was seit jeher einen jeden Dialog ausgezeichnet hat, die Rede und Widerrede respektive auf die Musik bezogen, die Aktion (das Spiel der Musizierenden) und die Reaktion (Beifalls- o-der Mißfallenskundgebungen seitens des Publikums), die einander beeinflussen. Eine Ablehnung auf seiten eines Publikums läßt das archivierte Werk unbeein-druckt. Es bleibt unabänderlich in jenen Kontext eingebettet, in dem es aufge-zeichnet wurde. So sprechen Flender/ Rauhe auch an anderer Stelle ganz richtig von der „rezeptorischen Einbahnstraße“, in die das ursprünglich dialogische Ver-hältnis durch Archivierung mündet. Eine ursprünglich auf Zweiwegigkeit ausgerichtete Kommunikation hat einer Einwegkommunikation weichen müssen. Damit ist die Evidenz oder mit Flusser, das der Schallplatte inhärente „Apparatprogramm“ beschrieben, das dieses Medi-um auszeichnet. Es wird deutlich, daß die Schallplatte ein reines Distributionsme-dium von (musikalischen) Informationen ist, das also lediglich ein diskursives Verhältnis zwischen Sender (dem Interpreten) und Empfänger (dem Hörer) zuläßt.2 Während bei der konkreten Aufführung von Musik bekannte Informationen (das in Noten fixierte Werk) zu neuen (das real erklingende Ereignis) synthetisiert werden, wobei sowohl Interpret wie Hörer sich wechselseitig beeinflussen und also beide für die Generierung der neuen musikalischen Information verantwortlich zeichnen, ist die Möglichkeit der Beteiligung beim Synthetisieren von bekannten zu neuen Informationen für den Hörer archivierter Musik von vornherein ausgeschlossen. Diese Wechselseitigkeit menschlicher Kommunikation, sowohl in der Sende- als auch zugleich in der Empfangsposition zu sein, entfällt nun. Menschliche Kommu-nikation jedweder Art (oral, musikalisch, non-verbal) ist intersubjektiv, medial vermittelte Musik-Kommunikation im allgemeinen nicht. Technisch dargebotene Musik ersetzt von nun an nicht nur, wie die Notenschrift es auch schon tat, die Instanz des Komponisten als Kommunikator und Vermittler seiner musikalischen Ideen, sondern darüber hinaus noch die gesamte Aufführung mitsamt den ausführenden Künstlern gleich mit. Gefallen oder Mißfallen beim Hö- 1 Ebd., S. 18/19 2 Vgl. Flusser, Vilém: Für eine Philosophie der Photographie. Göttingen 21985, S. 35-39