MUSIKGESCHICHTE ALS 74 TECHNIKGESCHICHTE fen. Was Alberich singt, „löst sich langsam auf, verschwimmt, bis es in einer dumpf brütenden Musik der tiefen Streicher und der Baßklarinette untergegangen ist.“1 Was zum Zeitpunkt jener Aufnahme nur noch vom Fingerspitzengefühl des Tontechnikers abhängt, der am Mischpult die Faderbewegungen kontrolliert und Effektgeräte bedient, war zu Beginn des Jahrhunderts nur unter größtmöglichen Anstrengungen, wenn überhaupt zu realisieren. Um Wagners Forderung im ‘Ring der Nibelungen’ nach dem verdeckten Klang und dem Klang aus der Ferne gerecht zu werden, ließ Mahler im Jahre 1903, dem die originale Absicht des Komponisten Verpflichtung war, den Orchesterraum im Hofoperntheater in Wien so umbauen, daß der Boden hydraulisch abgesenkt und hochgefahren werden konnte. Je nach dem, ob der Boden höher oder tiefergelegt war, konnte eine entsprechende orchest-rale Klangfärbung bewirkt werden.2 Gerade Wagners Gesamtkunstwerk, „diese monomane Vorwegnahme von Kino und Grammophon“3, strebt somit bereits nach medientechnischer Verwirklichung. Mit der Schallaufzeichnung sind durch die Möglichkeit der nachträglichen Mani-pulierbarkeit des Aufgezeichneten geforderte Klangfärbungen nunmehr technisch problemlos zu verwirklichen. Was in Wagners Denken noch genuine Vorwegnah-me medientechnischer Realität ist, wird im Zeitalter des Phonographen endgültig etabliert. Das spiegelt sich nicht nur in seinen Forderungen nach bestimmten Klangfärbungen wider, sondern gleichwohl auch in der Behandlung des musikali-schen Materials. 1 Culshaw, John, zitiert nach Rzehulka, Bernhard: Abbild oder produktive Distanz. In: Fischer, Matthias/ Holland, Dietmar/ Rzehulka, Bernhard: Gehörgänge, a.a.O., S. 99 2 Vgl. Blaukopf, Kurt: Gustav Mahler oder der Zeitgenosse der Zukunft, a.a.O., S. 270ff. In Mahlers Bemühungen wird das Loslösen vom starren unveränderlichen zum variab-len Klangraum - oder so Blaukopf - „der Übergang vom realen, unveränderlichen Klangraum zum manipulierbaren, künstlichen Klangraum“ ersichtlich (ebd., S. 272). Wo Mahler auf die Klangcharakteristik des Raumes keinen Einfluß nehmen konnte, behielt er es sich vor, in seinen eigenen Werken unaufhörlich Änderungen vorzuneh-men, um bei der Aufführung das bestmögliche Klangergebnis erzielen zu können. Di-rigenten seiner Werke legte er dies gleichsam nahe: „Es kommt mir vor allem auf die Klarheit an. Heil dem Dirigenten, der in meinen Partituren Änderungen einbringt, wenn der Raum und die Qualität des Orchesters es erfordern, um die Intention hervor-zubringen.“ (Gustav Mahler, zitiert nach ebd. S. 272). 3 Kittler, Friedrich: Aufschreibesysteme, a.a.O., S. 123. Vgl. hierzu auch: Kittler, Friedrich: Weltatem. Über Wagners Medientechnologie. In: Kittler, Friedrich. A./ Schneider, Manfred/ Weber, Samuel (Hg.): Diskursanalysen 1. Opladen 1987. Gerade in den Werken Wagners sieht Kittler das Sich-Lösen vom rein Tonalen und die Überwindung die „hergebrachten Schranken von Sprache und Musik“ (In: Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, a.a.O., S. 40), da dieser es verstand, Klangeffekte in einer Schrift zu schreiben, für die jene nicht geeignet ist. „[F]ür Wagner hatten selbst Partituren, als ob sie schon Phonographen wären, nur die Funktion, Diskurse oder Soundeffekte präzise zu timen.“ (In: Kittler: Weltatem, a.a.O., S. 103).