MUSIKGESCHICHTE ALS 78 TECHNIKGESCHICHTE Busoni ein Korsett gegeben, das es zu sprengen galt, um so der Musik die Freiheit zu entlassen, die ihr als „unmaterielles“ Phänomen auch entsprach. „Frei ist die Tonkunst geboren und frei zu werden ihre Bestimmung. Sie wird der vollständigste aller Naturwiderscheine werden durch die Ungebundenheit ihrer Unmaterialität.“1 In dem Versuch, Naturereignisse mit traditionellen Instrumenten symbolisch zu re-präsentieren, ist die „Erniedrigung des Klanges zu Schall“ zu beklagen.2 Die Nota-tion, einst Behelf, ist sich selbst genügsam geworden und das heißt, die lebendige Musik ist in starre Formen gegossen: „Den Gesetzgebern sind die Zeichen selbst das Wichtigste, [...], sie bedeuten nun die Tonkunst selbst.“3 Und Originalität schreibt sich nur dort fort, wo mit dem bestehenden Regelwerk ein jedes Mal ge-brochen wird, indem die Abkehr von der traditionellen Notationsform gesucht wird. „Die Aufgabe des Schaffenden besteht darin, Gesetze aufzustellen, und nicht, Gesetzen zu folgen. Wer gegebenen Gesetzen folgt, hört auf, ein Schaffender zu sein.“4 Aus all dem folgt Busoni, daß nur Abkehr genommen werden kann von ei-nem Notensystem, das ihm zufolge ohnehin bei rechter Betrachtung nur eine einzi-ge Tonart bot.5 Zugewendet dagegen muß sich der Musik, die nicht mehr zerglie-dert ist in Intervalle, sondern stufenlos tönt. Das ist dann - gemäß Busoni - Musik und keine Tonkunst mehr.6 Ähnlich wie Busoni argumentieren auch die Vertreter des Futurismus. In den Manifesten des Futurismus, der 1909 begründet war von dem italienischen Dichter Filippo Tommaso Marinetti und in dem sich eine geistige Strömung spiegelte, wel-che sich fasziniert zeigte von den Möglichkeiten des Maschinenzeitalters, sind Grundzüge für eine neue Ästhetik angegeben, welche auch in der Musik Anklang fanden.7 Es ist die Vergöttlichung der Maschine, die statthat und welche sich in 1 Ebd., S. 12 2 Ebd., S. 17 3 Ebd., S. 22 4 Ebd., S. 30 5 Vgl. ebd., S. 36ff. 6 Vgl. ebd., S. 44 7 Der Futurismus wollte radikal mit aller Tradition brechen und das heißt, er wollte die Auslöschung der Gesellschaft wie sie war, um ihre Vorstellung einer zeitgenössischen Gesellschaft aus dem dabei entstehenden Chaos durchzusetzen. So schrieb Marinetti: „Wir wollen den Krieg - die alleinige Hygiene der Welt - verherrlichen, den Milita-rismus, Patriotismus, die schönen tödlichen Ideen, die zerstörerische Geste der Anar-chisten und die Verachtung des Weibes ... Wir preisen die große Masse, bewegt von der Arbeit, dem Vergnügen oder der Revolte; die bunten und polyphonen Brandungen des Getriebes in den modernen Hauptstädten; die nächtliche Vibration der Arsenale und Baustellen unter ihren gewaltsamen elektrischen Monden; die Bahnhöfe - gefräßi-ge Verschlinger rauchender Schlangen; die Hüttenwerke mit den Bindfäden ihres Qualms an den Wolken aufgehängt; die Brücken zu Turnersprüngen über die teufli-sche Messerschmiede der besonnten Flüsse geschleudert; die abenteuerlichen Post-dampfer, die den Horizont wittern, die breitbrüstigen Lokomotiven, die über die Schienen stampfen, gleich riesigen Eisenrössern, mit langen Röhren gezäumt ...“ Und zu erreichen war dies nur über den Weg der Zerstörung des Bestehenden: „Es kommen