VON DER TONKUNST ZUR MUSIK 79 den Werken niederschlägt: „Man diskutierte über die Erneuerung von Dichtung, Politik, Plastik, Architektur, entwarf ein ‘synthetisches Theater’. Corrado Covoni schrieb ‘Elektrische Poesie’, Fólgore den ‘Gesang der Motoren’; Marinetti besang ‘Flugzeuge’, ‘Vernichtung’, ‘Die Schlacht von Tripolis’“1 und entwarf Ideen für neutönende Instrumente, mit denen futuristische Kompositionen möglich würden, was Busoni, der in seiner Ästhetik gleichsam schon über die Möglichkeiten neuer Instrumente nachgedacht hatte, gefiel. Er schrieb: „Das ist recht. Es gefällt mir, und ich stand schon längst auf dieser Seite, wenn auch nur als Theoretiker“.2 Russolo - ein Vertreter des musikalischen Futurismus - versucht in seinem Ma-nifest „Die Kunst des Geräusches“ eine Klassifizierung der Geräusche vorzuneh-men. Weiter hat er mehrere Geräuschinstrumente gebaut, darunter das „‘Geräusch-harmonium’, das sieben unterschiedliche Geräuschklänge erzeugen konnte, die nicht nur als chromatische Tonleiter, sondern auch in kleineren Bruchteilen des Halbtons spielbar waren.“3 Es ist die „Erweiterung des Hörraumes gleichsam nach innen, ins Mikrotonale“ gegeben, wie Prieberg meint, und diese Erweiterung „war der Vorstoß in einen neuen Hörbereich, nämlich zum Geräusch, wohlgemerkt zum musikalisch, künstlerisch organisierten Geräusch. [...] Nicht die Abkehr von Dur und Moll ist das Wesentliche, sondern die Erschließung einer neuen musikalischen Region, der des Geräusches.“4 Diese Erweiterung des Hörraumes ins Mikrotonale ist ebenfalls ablesbar an den vielfältigen mechanischen, elektromechanischen und elektronischen Instrumenten, die zu Beginn des Jahrhunderts entwickelt oder ganz einfach zweckentfremdet wurden. John Cages „präpariertes Klavier“ aus dem Jahr 1938, dem jahrelange Schlagzeugstudien vorausgingen, auf der mechanischen Ebene5 oder das noch heute gebräuchliche und von Oskar Sala meisterhaft be-herrschte und weiterentwickelte ‘Trautonium“ von Friedrich Trautwein aus dem Jahre 1930 und auch das von Maurice Martenot entwickelte „Ondes Martenot“ aus dem Jahre 1928 auf der elektronischen Ebene sollen hier stellvertretend für zahl-reiche andere mittlerweile fast vergessene Instrumente genannt sein.6 Mit ihnen ist es möglich, das Geräusch zeitlich zu organisieren. Doch bleibt die Niederschrift des Organisierten in Form einer menschengemachten Partitur höchst doch die guten Brandstifter mit rußigen Fingern! ... Hier sind sie! ... Hier sind sie! ... Und legt Feuer an die Regale der Bibliotheken! Lenkt den Lauf der Kanäle ab, um die Gewölbe der Museen zu überschwemmen! [...] Untergrabt die Fundamente der ehr-würdigen Stätten“ (Marinetti, zitiert nach Fred K. Prieberg: Musica ex machina, a.a.O., S. 26). 1 Prieberg, Fred K.: Musica ex machina, a.a.O., S. 28 2 Busoni, zitiert nach: Prieberg, Fred K.: Musica ex machina, a.a.O., S. 29 3 Humpert, Hans Ulrich: Elektronische Musik, a.a.O., S. 21f . 4 Prieberg, Fred K.: Musica ex machina, a.a.O., S. 30 5 Vgl. Charles, Daniel: John Cage oder die Musik ist los. Berlin 1979, S. 76-78 6 Eine kurze chronologische Auflistung jener Geräuschinstrumente ist in Heinz Ulrich Humperts Buch „Elektronische Musik“ (a.a.O.) auf Seite 20 nachzulesen. Einen ausführlichen historischen Abriß gibt Joachim Stange in seinem Buch „Die Be-deutung der elektroakustischen Medien für die Musik im 20. Jahrhundert“ (a.a.O., S. 102-183)