MUSIK(HARD)WARE = COMPUTER 100 = SOFTWARE eine bestimmte Befehlsfolge hin wird dann vielleicht irgendein Ergebnis oder un-gewöhnlicher Effekt geliefert, was bei einer korrekten Programmierung zu einem ganz anderen oder auch zu gar keinem Ergebnis oder Effekt hätte führen müssen. Der Programmierer reagiert im Grunde genommen nur noch auf grobes offen-sichtliches Fehlverhalten. So verliert der Programmierer mit wachsender Leis-tungsfähigkeit von Programmen zunehmend den Überblick über die internen Kommunikationsstrukturen und „reduziert seine Fähigkeit, das Verhalten des Computers zu prognostizieren, setzt auf seine Hoffnung statt auf sein Wissen und beobachtet die Ergebnisse, als sei das Programm ein Individuum, dessen Reper-toire möglicher Verhaltensweisen nicht bestimmbar ist.“1 Solange aber das musikalische Ergebnis dem erwarteten Programmverlauf ent-sprechen könnte, solange kommen Programmierer und auch Anwender nicht auf die Idee fehlverhaltender Programmroutinen. Das Programm schreibt sich unbe-merkt als eigenständig agierende Instanz mit in das künstlerische Endprodukt ein. Eine Behauptung, ein Programm tue nur das, was der Programmierer ihm sagt, darf - den Ausführungen Marvin Minskys folgend - als blanker Euphemismus oder als naiver Glaube betrachtet und abgetan werden. Kein Programmierer wird je vollständig darüber, was ein Programm unter welchen Bedingungen im nächsten Moment leisten wird, Rechenschaft ablegen können. Diese Aussage findet um so mehr ihre Berechtigung, je mehr Programmierer an der Entwicklung eines einzel-nen Programmes beteiligt sind.2 Auf die prinzipielle Undurchschaubarkeit komple-xer Programme explizit hinzuweisen, scheint unverzichtbar, angesichts eines im-mer wieder formulierten Glaubens der völligen Kontrollierbarkeit von Program-men: „Nur der Bediener, der auch Programmierer ist und das System kennt, kann an totale Kontrolle denken. Für jeden anderen hält die Maschine Überraschungen bereit.“3 Die Vernetzungen von Programmroutinen konterkarieren vielmehr den Gedanken einer allesumfassenden Kontrolle, um so mehr noch, als daß der gleich-zeitige Betrieb von miteinander kommunizierender wie interagierender Program- 1 Marvin Minsky, zitiert nach Joseph Weizenbaum: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, a.a.O., S. 309 2 Um eine Vorstellung davon zu geben, wieviele Fachleute mitunter an einem einzigen Softwareprodukt beteiligt sind, sei ein überdimensioniertes, gleichwohl reales und für die heutigen Verhältnisse nicht einmal ungewöhnliches Beispiel gegeben, das die Un-durchschaubarkeit und damit auch die Fehleranfälligkeit komplexer Programmstruktu-ren offensichtlich macht. So sind an der Entwicklung und Programmierung einer neu-en Betriebssoftware (OS/2) für IBM- Computer von IBM über 1700 Programmierer, die an vier unterschiedlichen Orten und auf zwei Kontinenten arbeiteten, beschäftigt gewesen (vgl. DIE ZEIT Nr. 39 vom 24. Sep. 1993, S. 17-20, hier S. 18). Wie es scheint, führten die Bemühungen nicht zum ersehnten Erfolg. „Da so viele Menschen mit dem Projekt beschäftigt waren, wurde eine Koordinierung ihrer Bemühungen so schwierig, daß die Entwicklung des Betriebssystems kaum Fortschritte machte“ (ebd., S. 18). 3 Nake, Frieder: Schnittstelle Mensch - Maschine. In: Michel, Karl Markus/ Spengler, Tilman (Hg.) unter Mitarbeit von Hans Magnus Enzensberger: Kursbuch 75. März 84. Computerkultur, S. 114