VERFEHLTE INDIVIDUATION 103 [power] geopfert“.1 Die Auflistung von Fehlermöglichkeiten hat bislang die konkrete Hardware völ-lig außen vor gesehen. Aber auch der konkreten Materialität kann nicht zu 100% Zuverlässigkeit zugebilligt werden und mitunter versagen. Die physikalischen Be-dingtheiten, denen die Hardware unterliegt, stellen also eine weitere Fehlerquelle vor. Auch wenn nun eingewendet werden sollte, daß die meisten Programme doch ganz fraglos ihren Dienst tun, so sei entgegnet, sie werden ihn auch immer wieder mal nicht tun, und zuweilen wird sich ein fehlerbedingtes Eigenverhalten von Pro-grammen vielleicht eher in subtiler Form mitteilen, als daß sich dies gleich in ei-nem Systemabsturz offenbart. Die Ausführlichkeit, mit der hier auf Fehler oder so-genannte „Bugs“ einer Software hingewiesen wurde, sieht ihre Berechtigung in dem weitgehenden Verzicht einer Thematisierung dieser Problematik in der Litera-tur. Vielmehr wird dort im allgemeinen auf die Zuverlässigkeit und die Möglich-keiten von Software abgehoben. Daß in dem explizit Bezug nehmen auf die Zuver-lässigkeit und Funktionstüchtigkeit von Software immer auch deren Nichtzuverläs-sigkeit unausgesprochen mitschwingt, wird dabei kaum wahrgenommen. Der ei-nem rationalen Denken verpflichtete und tief verwurzelte Glaube an die Unfehl-barkeit von Technik und die Machbarkeit der Dinge findet darin seine Bestätigung wie Fortführung. Gerade deswegen bedarf es der Zuwendung fehlgeleiteter Algo-rithmen. Ein Beispiel, das die Relevanz fehlerhafter Algorithmen besonders deut-lich dokumentiert, darf denn - wenn auch weithin bekannt - nicht fehlen. Erinnert sei an die Raumsonde „Mariner“, deren Aufgabe es war, nach Erreichen des Zieles Venus, in die Umlaufbahn jenes kleinen Planeten einzuschwenken, um fortan den ermittelten Datenbestand auf der Erde über diesen Planeten zu optimieren. Doch dürfte - das darf wohl angenommen werden - in den Kontrollzentren auf der Erde so manch einer mit nicht unerheblichem Staunen dem eigenwilligen Verhalten von Mariner gefolgt sein, als diese Sonde mitnichten in die Kreisumlaufbahn eintrat, sondern geradewegs und unbeirrt von Versuchen menschlicher Einflußnahme und hastig gesendeten funkischen Kontrollflüssen an der Venus vorüberflog und der (spannenderen) Weite des Alls der (vielleicht doch auf Dauer eher alltäglich zu werden drohenden) Umlaufbahn den Vorzug gab. Nunmehr allen Spott beiseite lassend: Diese Eigenwilligkeit von Mariner war im Programm schon angelegt. Weiß man um die auch an den Kosten abzulesende Bedeutsamkeit jenes Projekts, darf äußerste Sorgfalt bei der Programmierung der Algorithmen im Vorfeld jener verunglückten Reise vorausgesetzt sein. Doch trotz aller Sorgfalt schlich sich ein Fehler in das Programm ein, der vielleicht sogar Verständnis erfährt, wenn man um die Nichtigkeit des Fehlers weiß. Es war „eine erlaubte, allerdings katastrophale Interpunktion in einer FORTRAN-Anweisung, die [...] das Milliardenprojekt der ers-ten US-Venussonde in den weiten Weltraum hinaustaumeln ließ: statt ‘DO 3 I = 1,3’ lautete die Zeile ‘DO 3 I = 1.3’“.2 Statt ‘Komma’ wurde in einer wichtigen 1 Ebd. S. 72 2 Hagen, Wolfgang: Computerpolitik. In: Bolz, Norbert/Kittler, Friedrich/Tholen, Georg Christoph (Hg.): Computer als Medium. München 1994, S. 151