Programmierer Nach dem musikschaffenden Künstler selbst, dessen Stellung als alleinige Komponisteninstanz bislang als unangefochten galt, ist also noch eine weitere In-stanz hinzugetreten, nämlich die der beschriebenen individuierten Programme, womit allein schon die uneingeschränkte Autorität des alleinschaffenden Kompo-nisten erschüttert ist. Wenngleich in manchen Bereichen das Schreiben von Soft-ware schon an Software selbst delegiert ist, kann unterstellt werden, daß das Ent-werfen und Gestalten von Software im allgemeinen noch von Menschenmaß be-stimmt ist. Formalisieren von Gegenstandsbereichen bedeutet also Menschenar-beit, durchgeführt von geschulten oder interessierten Kräften: den Programmierern. Der Programmierer als musikschaffende Instanz muß also gleichsam mit berück-sichtigt werden, wenn Musikwerke Klanggestalt annehmen sollen und nach deren geistigen Vätern gefragt wird. Der Programmierer ist gleichsam Mitkomponist, weil dieser dem Musiker be-stimmte Gestaltungsmöglichkeiten erst zur Verfügung stellt, aus dessen Summe jener auswählen kann. Je eingeschränkter die Möglichkeiten eines Programmes sind, um so größer ist der Einfluß der Programmierers auf das Endprodukt, da sich der Musiker nur innerhalb gesetzter Grenzen entfalten kann. Das Fehlen von Mischquantisierungen - um nur ein triviales Beispiel zu nennen - läßt eben nur punktgenaue Quantisierungen zu, ohne daß eingespielte triolische Verläufe innerhalb einer in Achteln gehaltenen Sequenz noch Berücksichtigung fänden. Eine Option für bestimmte Swingquantisierungen läßt das klangliche Er-eignis um ein vielfaches lebendiger gestalten und die Möglichkeit, bestimmte Swingverhältnisse selbst zu definieren, erweitert das Gestaltungspotential des Mu-sikers um ein weiteres Mal. Die beschränkten Quantisierungsfunktionen evozierten gerade in der Frühzeit von Sequencerprogrammen jenes jegliches menschliche Empfinden vermissen lassende Maschinenhafte, was sich in der Folge aber als ei-gene ästhetische Qualität zu etablieren wußte und in der „U“-Musik mit Techno und anderen rhythmusbetonten wie beatgenauen Musikstilen in den 90ern seine Renaissance erfährt. Folglich ist zu beschreiben, daß mit jeder weiteren implementierten Option und mit jeder Erweiterung gegebener Funktionen sich der Freiraum des Musikers ver-größert. Das impliziert im umgekehrten Falle aber nun nicht, daß damit der Einfluß des Programmierers auf das entstehende Musikwerk reduziert wird: Zum einen bleibt es nach wie vor der Programmierer, der diesen immer weniger zu erschöp-fenden Kanon von Virtualitäten anbietet, innerhalb dessen der Musiker auswählen kann. Der Musiker kann immer nur in Funktion des Programmes agieren, also vom Programm zur Verfügung gestellte Möglichkeiten verwirklichen.1 Zum anderen ergibt sich erst aus der Oberflächengestaltung eines Programmes, inwieweit ange-botene Funktionen überhaupt genutzt und ausgeschöpft zu werden vermögen (vgl. Abschnitt: Bild(schirm)Musik und: Interpretation und Determination). Ein von ei- 1 Vgl. Flusser, Vilém: Für eine Philosophie der Photographie, a.a.O., S. 26/28