BILDSCHIRM 114 UND MUSIK gezeigt wird, wird im zunehmenden Maße immer mehr von Bildern und Pikto-grammen bestimmt und immer weniger von Texten. Die Bildschirmoberfläche von Computern als graphisches Gestaltungsmittel auch für musikalische Prozesse zu erschließen, kann demnach nur als folgerichtige Entwicklung gewertet werden, die der Bedeutung jenes aus Bildpunkten zusammengesetzten Oberflächenuniversums nur gerecht wird. Eingetreten in ein Zeitalter der totalen Veranschaulichung - der Visualisierung von Sachverhalten, ist jenes aus Bildpunkten zusammengesetzte Oberflächenuniversum der Computer- und Telekommunikationsmedien nun auch der Musik zugänglich. Kompositionssoftware, die schließlich Abschied nimmt von der notengemäßen oder einer vergleichbaren Darstellung generierter Events, ist mit dem von der Fir-ma Compudaktik vertriebenen KANDINSKY MUSIC PAINTER seit Ende der 80er Jah-re einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Der Name dieser Software steht für ihr Programm, eben ein musikmalendes Programm zu sein, wenngleich es vorder-gründig ein normales Zeichenprogramm zu sein scheint, dessen Aufgabe es ver-meintlich ist, auf Mausklick Linien, Kurven, Parabeln, Geraden u.ä. zu einem Ge-samtbild zu fügen und auf Bildschirm und Drucker sichtbar werden zu lassen. Mit-nichten ist dies aber alleiniger und auch nicht primärer Sinn und Zweck dieser Software, sondern dieser offenbart sich darin, daß das sich zum Bild Zusammenfü-gende zugleich Klang bedeutet wie umgekehrt. Dies heißt nichts anderes, als daß Grafikkompositionen mit Hilfe angeschlosse-ner Klangerzeuger zu Klang gewandelt werden können, indem Bildschirmpixelko-ordinaten in Beziehung zu vorab determinierten Intervallverhältnissen und Tonhö-hen gesetzt werden. Liegt die graphische Notation im Computer einmal fertig vor, so kann das Geschaffene sogleich umgesetzt werden in Musik, indem die einzelnen Bildschirminformationen transcodiert werden in MIDI-Signale. Diese wiederum lassen sich von einem angeschlossenen Klangerzeuger zu Musik wandeln oder als MIDI-File abspeichern und, gelesen von einem Notationsprogramm, in traditionel-le Noten umwandeln. Eine in beide Richtungen Transformationen erlaubende Software ebnet die Grenze zwischen bildenden Künsten und Musik ein. Mehr noch, „zwischen Musik und sogenannten ‘bildenden’ Künsten unterscheiden zu wollen“, wird sinnlos angesichts nunmehr synthetisierter „tönender Bilder“, was sich „in der sogenannten ‘abstrakten’ Malerei und in den Partituren der neueren musikalischen Kompositionen“1 schon andeutete und im Zeitalter der syntheti-schen Bild- und Tonerzeugung sich nunmehr verwirklicht zeigt.2 So lassen sich beispielsweise rekursive Zahlenkolonnen erst seitdem verstehen, seit-dem sie in Bildschirmwirklichkeiten aufgehen und eine neue Sicht auf die konkrete Welt erlauben. 1 Flusser, Vilém: Ins Universum der technischen Bilder. Göttingen 1985, S. 138 2 Vgl. auch: Kandinsky, Wassily: Punkt und Linie zu Fläche. Bern-Bümpliz 71973