BILDSCHIRM 124 UND MUSIK wird, würde dem Notat vielleicht viel eher gerecht, als es der bisherige linear arbei-tende Algorithmus wird. Mischformen zwischen solch unterschiedlichen Interpre-tationsalgorithmen ließen sich implementieren, dabei ungewöhnliche und experi-mentelle Ergebnisse erwarten lassen, und es würde Abschied genommen von der traditionsgemäßen linearen Interpretation. Diese wenigen Ideen wollen eines deut-lich machen: Die Revolution, von der Abraham A. Moles spricht, ist also eine an strikte „Vorprägungen“, an diskrete Vorschriften gebundene, was die unterstellten „revolutionären Wirkungen“ stark in Frage stellt. Eine Revolution hat trotz alledem stattgefunden. Nur wird sie am falschen Ort vermutet, weil sie sich nicht so augenscheinlich offenbart. Es sei an dieser Stelle denn noch einmal festgehalten, daß der algorithmenschreibende Programmierer in der Regel mehr über die generierten Bilder und ihre musikalische Transcodierung zu berichten wissen wird, als derjenige, der die Bilder in Szene setzt. Der Anwen-der setzt seine Hoffnung in das auf Logik aufbauende Arbeiten eines ihm unzu-gänglichen und damit unverständlich bleibenden Algorithmus. Der Programmierer weiß um die Beziehung zwischen Bildpixel und MIDI-Information. Wer Auskunft über das Entstehen von Bildern und ihre Transformierung haben will, ist deshalb besser beraten, nicht auf den auf die Bildschirmoberfläche fixierten Anwender zu-zugehen, sondern auf den um Hintergrundinformation wissenden Programmierer. Dieser zeichnet Bilder, läßt Musik tönen, denn der Programmierer formuliert die Vorschriften, nach denen ein Musikschaffender gestalten darf. Sofern auf das „Re-volutionäre“ einer Entwicklung und ihre „revolutionären“ Implikationen abgeho-ben wird, so hat die Revolution schon längst statt- und auch ihren Abschluß gefun-den, noch ehe auch nur ein Bildpixel von einem musikschaffenden Künstler auf den Bildschirm gesetzt ist: nämlich nach Abschluß der Programmierarbeit. Das ausschließliche Erschließen von vorgegebenen Programmstrukturen ohne das Wissen um die internen Verzweigungsgeflechte und Programmhierarchien ist nichts anderes als „eine Reise durchs Gehirn des Software-Designers.“1 Ganz ähn-lich formuliert dies auch der Künstler A.R. Penck, wenn er von den Abhängigkei-ten spricht, denen Computerkünstler unterliegen: „Die erste Abhängigkeit ist die vom Gehirn des Programmierers. Das Ergebnis ist direkt vom Hirn des Program-mierers abhängig.“2 Wo es das Ziel sein soll, ein selbstbestimmtes „Reisen“ zu er-möglichen, muß mit dem Computercode, dem „digitalen Alphabet“ - wie Flusser es nennt - zu schreiben gelernt werden. Durch die Befähigung, eigene Vorstellun-gen programmatisch umzusetzen, wird zum einen das Verständnis für das Medium Computer und dessen Möglichkeiten geschärft, zum anderen die Auseinanderset-zung mit der in Algorithmen umzuformulierenden Sache vertieft und weiter, die Möglichkeit zum kreativen und experimentellen Gestalten durch den kompetenten Eintritt in das Universum des Alles (1) oder Nichts (0) erheblich gefördert und er-weitert. So endlich werden dann auch zwei Denkwelten miteinander verbunden, die im 1 Bolz, Norbert: Am Ende der Gutenberg-Galaxis. München 1993, S. 117 2 Penck, A.R.: Tendenz zur Archaik. In: Rötzer, Florian/Rogenhofer, Sara (Hg.): Kunst Machen? A.a.O., S. 328