Interpretation und Determination „Man muß sich klarmachen, daß [...] ein neues digitales Grundalphabet geschaffen wurde, dessen Zeichen nicht mehr zwi-schen Klang, Wort und Bild unterschei-den.“ 1 Die Oberfläche des Bildschirmes wird mit Pixelinformationen gefüllt, die in ih-rer Gesamtheit ein Bild ergeben, das als graphische Notation bewertet wissen will, welches schließlich als Interpretationsvorlage für eine aufgeführte Musik dienen soll. Nun macht es, so scheint es, keinen Unterschied, ob diese graphische Notation eingeschrieben in eine konkrete Materialität ist oder ob sie gespeichert als Immate-rialität im Bildschirmuniversum existiert. Einen entsprechenden Zeichenkomfort vorausgesetzt, werden sich die beiden Musik bedeutenden Bildnotationen nicht wesentlich unterscheiden. Zwischen dem Computerbild und dem zu Klang Geformten scheint eine Bezie-hung zu bestehen, die sich ähnlich verhält, wie die zwischen einem Bildnotat über-kommener Art und einer daraus von Instrumentalisten geformten Musik. Auf dem Bildschirm kann der Aufbau der Grafik verfolgt und zugleich die da-zugehörige Musik gehört werden. Diese augen- und ohrenscheinliche wechselseiti-ge Entsprechung - hier das Bild, dort der Klang - gründet bei der Computerrealisa-tion auf einem Irrtum, da bei diesem Vorgang etwas völlig aus dem Blickfeld ge-rät. Diese Etwas ist das Programm. Um es deutlich zu sagen: die Bilder bedeuten nicht die Musik und die Musik nicht die Bilder, zu der sie transcodiert werden, sondern sie bedeuten das im verborgenen operierende Programm und deuten auf die bedeutende Leistung des Programmierers. Erlebbare Musik geworden zu sein, ist das Verdienst des ungenannt bleibenden Programmierers und das nicht nur, weil jenes ungewöhnliche wechselseitige Kompositionsprinzip auf diesen zurückzufüh-ren ist. Dem Programmierer obliegt die Aufgabe, überhaupt erst einmal Beziehun-gen zwischen Bild- und Tonbereich zu stiften und Regeln aufzustellen, nach denen ein Synthetisieren sich vollzieht. Für einen unvoreingenommenen zuhörenden Betrachter allerdings muß die ertö-nende Musik das Bild bedeuten. Nichts deutet ja direkt auf das Programm hin. Und ein Programm starten und es benutzen, heißt ja nicht, sich dieser programmatisch geleisteten beziehungsstiftenden Funktion auch bewußt zu werden. Ihr Vorhanden-sein beweisen die Dinge - wie Winograd und Flores mit Heidegger argumentieren - erst im Zusammenbrechen, also im Falle ihrer Dysfunktionalität. Vorher werden sie lediglich als Teil eines Hintergrundes wahrgenommen - als Zuhandenheit.2 Für den, der mit KANDINSKY MUSIC PAINTER malt und Musik tönen läßt, gerät das 1 Claus, Jürgen: Medien - Parks - Labors. In: Kunstforum Bd. 97. Ästhetik des Immate-riellen? Hrsg. v. Florian Rötzer, S. 80 2 Vgl. dazu: Winograd, Terry/Flores, Fernando: Erkenntnis Maschinen Verstehen, a.a.O., S. 69ff.