BILDSCHIRM 132 UND MUSIK Der Bildschirm „bildet nicht nur ab, er bildet um“, es werden „Gedächtnis- spuren“ gezeichnet1, welche innere Gefühls- und Imaginationswelten mit aus dem Punktuniversum des Computers herangetragenen Bildangeboten vorprägen. In Al-gorithmen ausdrückte explizite Transformationsbeziehungen evozieren Verhal-tensmodelle mit imperativen Charakter, indem sie Betrachtern/Zuhörern program-matisch gewonnene Vorstellungen aufzwingen.2 „Die Funktion [...] aller techni-schen Bilder [...] besteht darin, mir eine programmierte Vorstellung von der kon-kreten Welt aufzuzwingen und damit meine Erkenntnis und Wertung der Welt und mein Verhalten in der Welt zu programmieren.“3 In den Raum projiziert, wird Befehlsverweigerung kaum mehr möglich sein, denn eine programmierte Sichtweise erhält da ihre Verstärkung, wo die Flächen-bildobjektivation, in den Raum hinaustritt. Es wären nun Programme denkbar, die dieses leisten und dieses in einer Qualität zu gestalten verstehen, so daß ein Be-obachter/ Zuhörer nicht mehr zwischen den ihm vertrauten optischen sowie akusti-schen und den programmatisch erzeugten Erscheinungen unterscheiden kann. Da-mit erhalten Objekte dann für einen Betrachter bzw. Zuhörer eine absolute Wirk-lichkeitstreue, so daß deren Eigenschaften unhinterfragt übernommen werden. In-folgedessen wird die Möglichkeit zur Eigenimagination immer schwieriger und schließlich zur Illusion. Schon in den 60er Jahren stellt André Leroi Gourhan - mit Blick auf die audio-visuellen Bild- und Tonuniversen Fernsehen und Tonfilm - die Reduktion der Eigenimagination fest, wenn er sagt: „sie mobilisieren gleichzeitig die visuelle Wahrnehmung der Bewegung und die akustische Wahrnehmung und erfordern die passive Beteiligung des gesamten Wahrnehmungsbereiches. Die Bandbreite individueller Interpretation findet sich hier in extremem Maße redu-ziert, weil das Symbol und sein Inhalt sich in einem Realismus verschmelzen, der auf höchste Perfektion zielt, und weil auf der anderen Seite die so geschaffene rea-le Situation dem Zuschauer keinerlei Möglichkeit eines aktiven Eingriffs beläßt.“4 Die Anstrengung zur Imagination wird dabei „ökonomisiert“ in dem Sinne, daß sie Eigeninterpretationen eliminiert. Und er folgert weiter: „Die audiovisuelle Sprache konzentriert tendenziell die gesamte Produktion von Bildern in den Hirnen einer Minderheit von Spezialisten, die den Individuen ein vollständig figuriertes Materi-al vorlegen.“5 Dreidimensionale tönende Objekte sehen keine Notwendigkeit bzw. die Möglichkeit zur Eigenimagination mehr vor. Nur der, der programmiert, weiß noch um die Beliebigkeit der Erscheinung und die Beliebigkeit der dem Objekt zu-programmierten Eigenschaften. Das virtuelle Bildobjekt, gleichgültig ob es sich dabei um eine realitätsgetreue Nachbildung eines Objektes der materiellen Welt handelt oder auch um die Kon- 1 Vief, Bernhard: Vom Bild zum Bit. Das technische Auge und sein Körper. In: Kam-per, Dietmar/Wulf, Christoph (Hg.): Transfigurationen des Körpers. Berlin 1989, S. 266 2 Vgl. Flusser, Vilém: Lob der Oberflächlichkeit, a.a.O., S. 47-59 3 Ebd., S. 53 4 Leroi Gourhan, André: Hand und Wort. Ffm 1988, S. 266 5 Ebd., S. 267