137 KOMPLEX UND AUTONOM: VON ANALOG ZU DIGITAL ZU ANALOG ZU ... notwendige Voraussetzung. Aber - und das ist entscheidend - mit jeder „Befrei-ung“ ist verbunden ein „Kausalitätsbruch“ wie Lyotard auf René Thom bezugneh-mend festhält, gerade weil viele vernachlässigte oder gar nicht als solche erkannte Determinanten zugunsten einer reduzierten Anzahl ausgeblendet bleiben. Mit anderen Worten: Analoger und digitaler Klang gründen in unterschiedlichen Bedingungen, denn obwohl digitale Klänge auf aus den Beobachtungen der analo-gen Welt gewonnenen Abstraktionen beruhen, haben beide Klangphänomene durch die im Digitalen notwendige Parameterreduktion sowie dem damit einherge-henden Kausalitätsbruch nichts miteinander zu tun. Von dieser inneren Dialektik ist eine jede Transformation von analog zu digital begleitet. Mit digital und analog sind demnach unterschiedliche Abhängigkeitsver-hältnisse bestimmt, kennzeichnen also auch unterschiedliche Weltzustände. Und was dann digital ist, kann keinen Kausalitätsansprüchen mehr genügen. Die im Computer hergestellte digitale (Klang)wirklichkeit hat - so wird ersichtlich - wenig mit der computerexternen analogen (Klang)wirklichkeit zu tun. Die Zerhackung der „ausgedehnten Sache“ in Intervalle bedingt infolge einer De-Kontextualisierung eine Perforierung und zugleich eine dem Analogen nicht gegebene Endlichkeit, damit ist das Analoge aber „befreit“ von seinen Ambivalen-zen und als Digitales somit unendlich „frei“ verfügbar. Digital, überschaubar und damit vollständig modellierbar ist die in sich abgeschlossene Welt des Computers. Analog, nicht vollkommen begreifbar und deshalb immer nur unvollständig dar-stellbar und beherrschbar die komplexe Welt des Realsystems. Der Prozeß der Klangerzeugung mit analogen Instrumenten ist daher auch nicht vergleichbar mit digitaler Klangerzeugung und braucht eine völlig andere Vorge-hensweise. Wo, wie im Analogen, Klangautonomie durch komplexe Abhängig-keitsverhältnisse vorherrscht, welche nicht im wahrsten Sinne des Wortes völlig durch Instrumente „begreifbar“ ist, ist Klangerzeugung immer von Unwägbarkei-ten begleitet. Einen analogen Klang erzeugen heißt demnach, ein jedes Mal das Wagnis des Mißlingens einzugehen. Busoni zitiert in seinem Entwurf einer neuen Tonästhetik Mr. Baker, der im Jahr 1906 von dem von Thaddeus Cahill entwickelten ersten elektronischen Musikin-strument - dem Dynamophon - berichtet und dabei die Unmöglichkeit einer voll-kommenen Klangbeherrschung beklagt, an der die bisherige Klangerzeugung lei-det. Am Beispiel des Klavierklanges führt es dies aus: „Der Klavierspieler verliert die Macht über den absterbenden Klang der Saite von dem Augenblick an, in dem die Taste geschlagen wurde.“1 So wenig wie der Klavierklang noch nachträglich beeinflußt zu werden vermag, so wenig kann auch das Schwingungsverhalten eines jeden anderen Klanges nach dem Auslösen des Tones noch elementar verändert werden. Es hieße denn, ihn unterbrechen. Diese Unzulänglichkeiten in der traditio-nellen Klangerzeugung haben deshalb Busoni die Meldungen von der Entwicklung des Dynamophons interessiert aufnehmen und die Ausführungen des Mr. Baker re-zipieren lassen: „Dr. Cahill ersann die Idee eines Instrumentes, welches dem Spie- 1 Busoni, Ferruccio: Ästhetik einer neuen Tonkunst, a.a.O., S. 50