BILDSCHIRM 140 UND MUSIK Klang schließlich automatisch - kann die ganze Konzentration gezielt auf die Klangkontrolle gerichtet werden. Die graphische Bildschirmdarstellung des Klan-ges auf einem Monitor oder Display gewährt zudem noch eine zusätzliche optische Kontrolle. Klangerzeugung auf diese Art und Weise ist ein Prozeß, der auch für Tage unterbrochen werden kann und genau am Punkt der Unterbrechung fortge-setzt werden kann. Abraham A. Moles hat das einmal so ausgedrückt: „[D]er Künstler von heute beginnt an dem Punkt, an dem der Künstler von gestern aufge-hört hat.“1 Im Unterschied zum analogen Klanggestalten entspricht Wiederholung ihrer tatsächlichen Wortbedeutung. Wiederholt wird das, was war und - so wie es war - nun wieder ist. Es ist kein Neubeginn notwendig, sondern eine Vergegenwär-tigung des Gewesenen im Moment der Wiederaufnahme einer Klanggestaltung. So gesehen wäre mit der Digitalität verwirklicht, was unter vollendeter Klang-beherrschung vorgestellt wäre. Doch sei noch ein Mal erinnert an die beiden von Jean-François Lyotard angegebenen Richtungen von der Freiheit in der Klangge-staltung durch die Befreiung des Klanges von seinen Bedingtheiten. Das analoge Klangphänomen, so wurde dargestellt, erfährt seine „Befreiung“ aus seinen zahllo-sen Abhängigkeiten, gleichwohl geht es dabei seiner Autonomie verlustig, indem die Möglichkeit zu Anschlußselektionen reduziert ist. Denn Autonomie hieße ja, infolge eines Überschusses an Selektionsmöglichkeiten auf Versuche von außen gesteuerter Einflußnahme kontingent, und das hieße dann auch, frei von Kontrolle eigengesetzlich reagieren zu können.2 Das Beispiel der analogen Klanggestaltung hat diese grundsätzliche Unbeherrschbarkeit zu verdeutlichen versucht. Mit dem nun erfolgten Autonomieverlust durch „Befreiung“ ist eine von außen gesteuerte absolute Kontrolle zum Ziel gesetzt, wobei absolute Kontrolle nunmehr möglich, aber mit der Einschränkung versehen ist, daß als Folge davon Klangphänomene nicht den Differenzierungsreichtum analoger Klanggestalten aufweisen. Die Folgen einer Befreiung von Klängen durch Reduzierung von Komplexität und damit von Kontingenz hat gerade der elektronischen Musik in ihrer Frühzeit zu schaffen gemacht. Elektronische Musik zu jener Zeit versuchte mit den Mitteln einer damals noch analog verfahrenden Technik absolute Klangkontrolle zu erzie-len: Zu erinnern sei an die Klangfarbensynthese. Ausgehend von dem Fourier- Theorem, daß Klänge aus einem komplexen Gemisch sich gegenseitig beeinflus-sender Sinusschwingungen besteht, wollte man nunmehr umgekehrt unter kontrol-lierten Studiobedingungen Sinusschwingungen zu komplexen Klangphänomenen zusammensetzen. Die Studie I von Karl Heinz Stockhausen aus dem Jahre 1953 war das Ergebnis eines solchen Klanggenerierungsprozesses. Doch „[a]nstatt einer Verschmelzung der Sinustöne zu neuen komplexeren Klängen erscheinen die ein-zelnen Sinuskomponenten separat hörbar und sind damit leicht identifizierbar. So entsteht anstatt einer neuen Klangqualität der Eindruck von aus Sinusschwingun-gen gebildeten Akkorden. Zum anderen erhalten die einzelnen Sinustöne dank ih-rer leichten Identifizierbarkeit eine eigene Klangqualität, etwa vergleichbar dem spezifischen Klang eines einfachen Musikinstrumentes irgendwo zwischen Flöte 1 Moles, Abraham A.: Kunst und Computer, a.a.O., S. 235 2 Vgl. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, a.a.O., S. 279