Projektionswirklichkeiten „Wenn irgend etwas realer ist als etwas anderes, dann vielleicht, weil beide nicht ganz real sind.“1 Die Loslösung des Klanges von analogen Gründen führt dazu, daß der konkrete Körper des Klanges - analysiert, zum Modell erhoben und auf Algorithmen ge-bracht - als Ausgangsbasis für andere neue Klangentwicklungen herangezogen werden kann, und das heißt: Neue ungewöhnliche und dabei doch zugleich wirkli-che Klangräume sind zu entwerfen. Bisher nicht denkbare Instrumente können auf einer virtuellen Ebene selbst entworfen, zum Schwingen und im realen Raum zu Gehör gebracht werden. Henri Lefebvre hat schon in den 40er Jahren darauf auf-merksam gemacht, daß ein zukünftiges Zeitalter nicht allein mehr mit dem Wis-senschaftsinstrumentarium der Induktion und Deduktion auskommen kann, son-dern daß es einer weiteren „Operation der Beweisführung“ bedarf, der Transdukti-on. „Wir erweitern diese strengen Operationen um die Transduktion, die ausge-hend von Informationen ein virtuelles Objekt konstruiert und ausgehend von gege-benen Daten zur Lösung vordringt. Man kann auch sagen: Die Transduktion schreitet vom Wirklichen (Gegebenen) zum Möglichen voran.“2 Durch das Abs-trahieren aus der konkreten Welt und einer nachfolgenden Konkretisierung der gewonnenen Abstraktionen ist ein Voranschreiten vom Wirklichen zum Möglichen - die Transduktion - realisiert. Dieses Voranschreiten vom Wirklichen zum Mögli-chen und dessen Verwirklichung macht zugleich angesichtig, daß zwischen „wirk-lichen“, also mechanischen Klängen und synthetisch erzeugten Klängen eine Be-ziehung existiert, die als Verwandtschaftsverhältnis auszuweisen ist: Denn die Möglichkeit zum wirklich Werden hat ihre Bedingung in dem für wirklich Ange-nommenen, indem ja durch vorab geleistete Beobachtungen der Umwelt erst die Möglichkeit verwirklichende Algorithmen zu formulieren sind. Wenn auch das verwirklichte Mögliche seinen Grund in dem Wirklichen findet, so hat es dennoch nicht seine Ursache darin. Denn um Ursache zu sein, müßte das eine kausal aus dem anderen folgen. Das aber ist nicht der Fall. Kausalität ist angewiesen auf ein Vorher und Nachher, auf eine lineare Abfolge der Ereignisse. Damit bricht die Digitalität, denn Optimierung oder Neugenerie-rung von Klangwirklichkeiten im Computer wird am Modell geprüft, bis daß das modellierte Ergebnis mit dem vorgestellten übereinkommt. Mit aus dem Computer heraus entworfenen (Klang-)Welten ist ein Kausalitätsbruch bedingt durch die Umkehrung von Ursache und Wirkung. Die Wirkung wird vorausgenommen, und die Ursachen für den wünschenswerten Wirklichkeitsentwurf werden erst nach-träglich dafür geschaffen. 1 Flusser, Vilém: Projektion statt Realität. In: Rötzer, Florian/Weibel, Peter (Hg.): Stra-tegien des Scheins. München 1991, S. 93 2 Lefebvre, Henri: Kritik des Alltagslebens. Ffm 1987, S. 373