BILDSCHIRM 148 UND MUSIK Es folgt nicht mehr zwangsläufig aus einem vergangenen Ereignis ein zukünfti-ges, sondern das zukünftige Ereignis wird erst im Computer entworfen und dabei getestet, inwieweit es zur Verwirklichung tauglich ist. Für nicht tauglich Befunde-nes wird gar nicht mehr in die wirkliche Welt hinaus projiziert. Mit anderen Wor-ten: Die Zukunft hat im Computer schon stattgefunden, bevor sie verwirklicht wird. Unser Verständnis von Welt wird heute immer weniger aus den Beobachtun-gen der „ausgedehnten Sache“, in der Welt als Kausalentwurf von Ursache und Wirkung begriffen wird, gewonnen, als vielmehr von einem Prozessieren klarer und distinkter Zahlen bestimmt, was ein Kalkulieren meint, das das Kausalitäts-prinzip von Ursache und Wirkung negiert und außer Kraft setzt und an dessen Stel-le eben ein Kalkulationsprinzip setzt, welches Welt bedingungslos berechenbar und damit veränderbar macht. Die phänomenale Welt ist - so Flusser - ein kalku-lierbarer Gegenstand geworden, die einmal quantifiziert, also in Zahlenverhältnisse zerlegt, im Computer berechnet und vorausbedacht werden kann. Kalkulieren bedeutet, Ereignisse, gleich welcher Art sie auch sein mögen, im voraus zu bestimmen und vorauszusagen. Wer voraussagt - so Flusser - , „nimmt die Zukunft durch Auskunft vorweg, um die Zukunft zu verhüten. [...] Wer vor-sorgt, besorgt sich nicht nur um eine Möglichkeit, sondern er besorgt sich auch diese Möglichkeit, er holt sie in die Gegenwart ein, er nimmt sie vorweg, damit sie weg ist. [...] Man kann Entwicklungen, Tendenzen, Kurven aus der Gegenwart hinausprojizieren und mit diesen Projektionen spielen. [...] Doch derartige Projek-tionen zeigen, was beim Kalkulieren herauskommt, und nicht, was ankommt. Es gibt keine Zukunft. Der futurisierende Computer hat die Zukunft verschlungen.“1 Und jeder, der mit einem Computer umzugehen versteht, kann eine andere Aus-kunft über die Zukunft geben. Es bestimmt nicht mehr ein irgendwie geartetes Vergangenheitsgefüge kausal die Zukunft, sondern projizierte Zukunftsentwürfe lassen sich in der Gegenwart verwirklichen. Sören Kierkegaard hat in seinen „Philosophischen Bissen“ einmal von der Not-wendigkeit der Unveränderlichkeit des Vergangenen gesprochen: „Was geschehen ist, das ist so geschehen, wie es geschehen ist, in diesem Sinne ist es unveränder-lich“ 2 und weiter die Frage gestellt, inwiefern das Vergangene, indem „sein wirkli-ches So nicht anders werden kann“, sein „mögliches Wie nicht anders hätte werden können.“3 Die Frage nach dem möglichen anderen Wie ist unter Computerbedin-gungen nunmehr einzig eine Frage der Formalisierbarkeit. Zwar bleibt grundsätz-lich die Unveränderlichkeit des Geschehenen bestehen, doch kann das Geschehene, in Algorithmen ausgedrückt, in seinem prinzipiellen anderen Verlauf durchgespielt werden, indem durch Veränderungen am Algorithmus auch die nichtverwirklichten Möglichkeiten zum Vorschein gebracht werden können. Gleichwohl gründen die vielfältigen virtuellen Zukünfte, die in der Realisation das für wirklich Genommene anreichern, im Wirklichen, da die Basisalgorithmen für jene Modellentwürfe entworfen sind aus den Beobachtungen des Wirklichen. 1 Flusser, Vilém: Ins Universum der technischen Bilder, a.a.O., S. 133 2 Kierkegaard, Sören: Philosophische Bissen. Hamburg 1989, S. 74 3 Ebd., S. 75