149 PROJEKTIONSWIRKLICHKEITEN Es ist eine kybernetische Feedbackschleife entstanden, bei der das Wirkliche das Virtuelle, aber das Virtuelle gleichermaßen das Wirkliche bedingt. Mit einem je-den zirkulären Schluß, der - wie man sieht - einem kreativen Zirkel1 entspricht, verlieren auch vertraute Begrifflichkeiten wie Vergangenheit, Gegenwart und Zu-kunft ihre strengen zeitlichen Fixierungen. Zukunft gründet nicht mehr zwangsläu-fig im vergangenen Ereignis, sondern im kalkulierten Modellentwurf: „A impli-ziert B; und - Oh, Grauen! - B impliziert A!“ kann mit Heinz von Foerster gesagt werden2, und jenes zum Ausdruck gebrachte Grauen gründet in dem Verlust des vertrauten Ursache-Wirkungsverhältnisses, in dem Verlust einer nachvollziehbaren Ordnung, wo alles auf seinen Letztgrund hin befragt werden kann. In diesem Rückkopplungsverhältnis heben sich nicht nur Ursache und Wirkung, in dem die Wirkung Folge einer Ursache, aber umgekehrt die Ursache auf der Wirkung grün-den kann, auf, sondern das Analoge kann auch nicht mehr der digitalen Wirklich-keit vorangestellt werden.3 (Musik-)wirklichkeit definiert sich insgesamt nur noch danach, insofern sie wirklich scheint, und „wirklich“ meint im Sinne des Projektionsgedankens, daß das Generierte wirksam ist, daß es wirkt. Ist das Projekt einmal verwirklicht, ist es der konkreten, weiter beobachtbaren und algorithmisierbaren Welt hinzugefügt und wirklich. So erweist sich das Synthetische als ein dem analogen Bereich Gegebe-nes, das nur auf einem anderen Weg Klanggestalt geworden ist. Wo Rückkopplungen währen, sind auch Qualifizierungen wie künstlich und na-türlich grundsätzlich problematisch und zu hinterfragen, denn zum einen hat der Algorithmus seinen Grund im Analogen, zum anderen prägt das Verwirklichte die Vorstellung von dem, was als Wirklichkeit zu gelten hat. Höreinstellungen sind mitbestimmt von synthetischen Klangwelten, denen schließlich auch ein mecha- 1 Vgl. Varela, Francisco: Der kreative Zirkel. In: Watzlawick, Paul (Hg.): Die erfundene Wirklichkeit. München 81994 2 von Foerster, Heinz: Ethik und Kybernetik zweiter Ordnung. In: Ders.: KybernEthik. Berlin 1993, S. 64 3 Ein einfaches, sehr anschauliches Beispiel für ein reziprokes Bedingungsverhältnis hat Norbert Wiener einmal beschrieben. Und zwar beschreibt er das Rückkopplungsver-hältnis von Heizungsthermostat und Umwelt: Am Thermostaten „ist eine Einstellvor-richtung für die gewünschte Raumtemperatur vorhanden; wenn die wirkliche Tempe-ratur des Hauses unter dieser liegt, wird ein Apparat in Gang gebracht, der die Dros-selklappe öffnet oder den Zufluß des Heizöls verstärkt und die Temperatur des Hauses bis zur gewünschten Höhe bringt. Andererseits werden die Drosselklappen zugedreht oder der Zufluß des Heizöls verringert oder unterbrochen, wenn die Temperatur des Hauses über die gewünschte Höhe ansteigt.“ (Vgl. Wiener, Norbert: Kybernetik. Düs-seldorf/ Wien/ N.Y./ Moskau 1992, S. 147). Dieses Beispiel macht sehr anschaulich, daß von einem stringenten Ursache-Wirkungsverhältnis nicht mehr die Rede sein kann. Durch den Regelkreis, der geschaffen wurde, ist die Außentemperatur Voraus-setzung für das Arbeiten des Thermostates, andererseits ist die Außentemperatur Er-gebnis des Thermostates, der also selbst erst mal die Bedingungen für sein Arbeiten schafft.