BILDSCHIRM 152 UND MUSIK Begrifflichkeit der „Hyperrealität“ ausgedrückt.1 Im Hyperrealen ist das Reale prä-sent, das Hyperreale ist das Reale. „Die Hyperrealität der Simulation absorbiert das Reale und macht die Fragen nach wahr und falsch, Wirklichkeit und Schein gegen-standslos. [...]. Das Simulationsprinzip der Posthistoire hat das Realitätsprinzip der Neuzeit ersetzt. Hyperrealität besagt, daß das Wirkliche in der Steigerung seiner reinen Formqualitäten sich ekstatisch selbst übertroffen hat“.2 Schon alltägliche Studiopraxis in der Musik macht dies deutlich. Zum Beispiel genommen seien die Äußerungen von A. S.3 Dieser beschreibt ein „musikalisches Konzept, das sich für Udo Arndt mit der Sampling Technologie verwirklichen läßt: die Erzeugung von überrealistischen Klängen, die bewußte Kreation einer Hyper- Wirklichkeit. ‘Das ist eine neue, für mich durchaus legitime Ästhetik, ganz ähnlich wie zuletzt die Verfremdung von Echtklängen durch Synthesizer-Imitationen. Ich denke da beispielsweise an ein besonders betontes Besenschlagzeug, so laut, wie es normalerweise nie sein könnte. Oder an überdicke Streicher.’“4 Der Produzent und/ oder Toningenieur ist sich der Klangproduktion noch bewußt. Er weiß, daß ein mit Samplingtechnik nachgebessertes Besenschlagzeug real nicht dieses Klangvolu-men erreichen kann, wiewohl er durch die künstliche Realisierung für sich selbst neue Hörbereiche erschließt. Rückgekoppelt mit dem Ergebnis seiner Arbeit wer-den sich aber auf Dauer auch neue Hörgewohnheiten einstellen und etablieren, womit das artifizielle dem realen Ereignis vorangestellt ist. Das Gewohnte wird - trotz des Wissens um die produktionstechnischen Bedingungen - sich schließlich auch ihm als das „Wirkliche“, als natürliche Klanggestalt darstellen. Der Musik-konsument dagegen wird ohnehin in diesem Ereignis kein hyperreales Ereignis er-kennen, sondern er wird die ihm vertraute, von der Schallplatte/CD her bekannte Lautstärke als die dem Instrument natürlich gegebene akzeptieren und so wird eine bei einem ‘Live’-Ereignis von keinem Schlagzeuger erfüllbare Erwartungshaltung erzeugt. Das Schlagzeug wird dem Zuhörer einfach zu leise scheinen, ist er doch anderes von seinen Schallträgern gewohnt. Schon im Kapitel Schallplat-te/ Phonograph ist verdeutlicht worden, daß (Klang)Wirklichkeiten schon vor dem Zeitalter der Computersimulation gemachte, vom Menschen entworfene waren. Es existiert somit zwischen den (Klang)Ereignissen der unendlich endlichen Welt des Computers und denen der endlich unendlichen Welt des Menschen kein fundamen-taler Wesensunterschied, da es sich in beiden Fällen um Produktionen desjenigen handelt, der sich aktiv den Geschehnissen der Welt zuwendet. Nur in der Über-zeichnung wie Idealisierung wird das Hyperreale zuletzt noch als solche für un-wirklich genommen. Indem Simulation und Realität äquivalent gesetzt sind, exis- 1 „Hyperrealität“, ein Begriff, der an den „Hyperrealismus“ der Malerei erinnert und sich in der Pop-Art materialisiert. Vgl. Jean Baudrillard im Gespräch mit Gerhard Jo-hann Lischka. In: Aktuelles Denken. Kunstforum International. Juni/Juli 90, Bd. 108, S. 84 2 Bolz, Norbert: Eine kurze Geschichte des Scheins, a.a.O., S. 111 3 Ich vermute, daß sich hinter diesem Kürzel Andreas Schätzle verbirgt. 4 Udo Arndt (Produzent u.a. von Spliff, Ulla Meinecke, Rainbirds), zitiert nach A. S., in Keys für Einsteiger, S. 67