BILDSCHIRM 154 UND MUSIK dem digital realisierte Musikklänge natürlicher klingen, als deren mechanisch erzeugten Vorbilder. Die Angleichung von digitalem Schein und analoger Wirklichkeit macht den Schein zum Maßstab des Wirklichen, und ermöglicht ist dies durch eine gleichzei-tige Dissimulation des Realen. In dem Maße, wie das Simulakrum einen wirkli-chen Klang zu assimilieren versteht und darüber hinausgehend neue und doch gleichwohl wahrscheinliche Klangwirklichkeiten zu generieren (komputieren) ver-steht, ist die Wirklichkeit in ein Möglichkeitsfeld eingetaucht und mit der Simula-tion möglicher Klänge eine parallel verlaufende Dissimulation dessen erfolgt, was sich als reales Klangereignis zu konstituieren verstand. „Wenn simulieren besagt, zu bejahen, was nicht ist, und dissimulieren besagt, zu verneinen, was ist, dann hat die Computerdarstellung komplexer, zum Teil also imaginärer Zahlen eine soge-nannte Wirklichkeit buchstäblich dissimuliert, nämlich auf Algorithmen ge-bracht.“ 1 Die Wirklichkeit selbst ist nur ein Zahlenspiel, mit dem sich rechnen läßt. Durch die Computern mögliche Bejahung der Negation wird sie disponibel für Manipulationen, die sie in den unbestimmbaren Schwebezustand des ‘sowohl als auch’ überführt und sie „die Differenz zwischen ‘Wahrem’ und ‘Falschem’, ‘Rea-lem’ und ‘Imaginären’ immer wieder in Frage“ stellen läßt.2 Insgesamt verdichtet sich das Beschriebene zu der Folgerung, daß aus Computern heraus entworfene Klangwirklichkeiten genauso wirklich und natürlich sind, wie Klänge, entworfen aus natürlichen Klangumgebungen. Oder umgekehrt, natürliche Klänge sind ge-nauso künstlich oder fiktiv wie computerrealisierte. Da die Grenze zwischen wirk-lich und unwirklich oder fiktiv zunehmend als fließende wahrgenommen wird, hält Vilém Flusser diese Grenzziehung denn auch nicht mehr für legitim und stellt an-dere Unterscheidungskriterien zur Qualifizierung von Phänomenen heraus: „daß les und Digitales. In: ders. (Hg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 32). Die Simulation sub-stituiert das Reale. Auch der Klang der natürlichen Welt wandert aus in die Digitalität, indem Akustik- Design verantwortlich zeichnet für gestaltete Klangumwelten, die einen adäquaten Er-satz für eine nicht wunschgemäß vorgefundene Klangumwelt bieten. Das ist das eine, das andere sind Klangarchive, die hören lassen, was schon bald so nicht mehr in der Natur zu hören sein wird oder schon längst nicht mehr zu hören ist. „Vegetation und Klima, die Stimmen, Frequenzen und Bewegungen der Tiere gestalten eine spezifische Klangmischung. Aufnahmen in Borneo und Sumatra belegten den rasanten Arten-schwund der Naturschutzgebiete, Regen- und Urwälder der Welt. [...] Mittlerweile werden Naturaufnahmen, sogenannte ‘Environments’ als akustische Photographien vor allen in den USA millionenfach verkauft. Viele Hörer interessieren sich für diese hochwertigen Aufnahmen, vielleicht, weil ihre eigene Umwelt in der Stadt laut und diffus geworden ist“ Werner, Hans U.: Soundscapes - Zwischen Klanglandschaften und Akustik-Design. In: Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Welt auf tönernen Füßen. Die Töne und das Hören. Göttingen 1994, S. 135f.). 1 Kittler, Friedrich: Fiktion und Simulation. In: Schütz, Erhard (Hg.): HighTech - Low- Lit. Essen 1991, S. 101 2 Baudrillard, Jean: Agonie des Realen. Berlin 1978, S. 10