155 PROJEKTIONSWIRKLICHKEITEN zum Beispiel statt ‘wahr und falsch’, ‘wahrscheinlich und unwahrscheinlich’ zu setzen ist, statt ‘wirklich und fiktiv’, ‘konkret und abstrakt’, statt ‘Wissenschaft und Kunst’, ‘formulieren und projizieren’.“1 Insgesamt betrachtet: Es macht also, selbst wenn man um den Ursprung der Klangerzeugung weiß, keinen Sinn mehr, noch unterschiedliche emergente Ord-nungen von Klängen oder der Klangentstehung aufstellen zu wollen. Das Spiel mit dem Realen, seine Überzeichnung zum Hyperrealen, das zum Realen gerät, ist et-was, was von jeher statthatte. Mit der Transformation von analog zu digital und vor allen Dingen der Trans-formation von digital zu analog ist schließlich endgültig - allen möglichen We-sensunterschieden von analog und digital zum Trotz - die Wirklichkeit selbst nur noch als Dispersion im Raum der Virtualität denken, als eine verwirklichte Mög-lichkeit unter denkbaren anderen. „Schließlich zeigen jetzt die Computer, daß wir nicht nur dieses eine Universum eine, sondern beliebig viele derart projizieren und zurückgewinnen können.“2 Indem die ausgedehnte Welt, ihrer Einzigartigkeit beraubt, nur noch als verwirk-lichte Möglichkeit verstanden werden kann, erhält sie Projektionscharakter. Und der Mensch als Programmierer zeichnet, den kalkulierenden Computer mit aus-formulierten Programmen versehend, für die Projektionen verantwortlich und ver-wirklicht sich damit selbst3, oder wie Holger van den Boom - mit Bezug auf Vilém Flusser - sagt: „das Subjekt ist Projekt, ganz und gar Entwurf geworden.“4 So hieße es, Vilém Flusser zum Abschuß dieses Abschnittes selbst noch einmal zu Wort kommen zu lassen, der dem Schein das Wort redet derart, daß er das für wirklich Angenommene gleichsam als trügerisch zu hinterfragen sucht, was endlich dazu führt, in dem Bewußtsein der Scheinhaftigkeit aller Dinge, das Wort Schein selbst für bedeutungslos zu erklären und ihn daraus folgern läßt: „Wir sind nicht mehr Subjekte einer gegebenen objektiven Welt, sondern Projekte von alternativen Wel-ten. Aus der unterwürfigen subjektiven Stellung haben wir uns ins Projizieren auf-gerichtet. Wir werden erwachsen. Wir wissen, daß wir träumen.“5 Es ist die Auflö-sung der Einheit der Differenz von Sein und Schein gegeben. 1 Flusser, Vilém: Paradigmenwehsel. In: Steffens, Andreas (Hg.): Nach der Postmoder-ne. Düsseldorf/Bensheim 1992, S. 39 2 Flusser, Vilém: Digitaler Schein. In: Rötzer, Florian (Hg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 155 3 Vgl. ebd., S. 156f. 4 van den Boom, Holger: Digitaler Schein - oder: Der Wirklichkeitsverlust ist kein wirk-licher Verlust. In: Rötzer, Florian (Hg.): Digitaler Schein, a.a.O., S. 185 5 Flusser, Vilém: Digitaler Schein, a.a.O., S. 157