MUSIKMASCHINEN 160 UND KLANGFINDUNG ner neuen Realisationssprache innerhalb der elektronischen Komposition zu schreiben und damit auch zu denken.“1 Es sind Instrumente, die dem Komponisten ein „Denken aufzwingen“2, das nicht mehr von der Mikro- zur Makrostruktur vo-ranschreitet, also nicht mehr im Sinuston das Ausgangsmaterial für ein komplexes Endprodukt sieht, sondern das umgekehrt prozediert. Mit einer seinerzeit umfas-send möglich gewordenen wie durch unmittelbaren Zugriff direkt erfolgenden Veränderung von Klangverläufen geht einher die Abkehr von der Idee einer völli-gen Parameterkontrolle, welche die elektronische Musik in den Anfängen be-herrschte (vgl. dazu auch Komplex und Autonom: Von Analog zu Digital zu Analog ...). Erst mit den digitalen Systemen ist schließlich umfassende Parameterkontrolle auch im mikrotonalen Bereich gewährleistet. Gemeinsam jenen frühen System und den aktuellen Synthesesystemen ist der programmatische Aspekt, womit sie als Computer ausgewiesen sind: „Der Synthesizer wurde zu nichts anderem als zu ei-nem kleinen Computer, vollgepackt mit digitalen Soundchips, Steuereinheiten und Mikroprozessoren.“3 Um Computer/Synthesizer zu einem echtzeitfähigen Instru-ment zu qualifizieren, bedarf es Geschwindigkeitsrelationen, die sich an der abso-luten Geschwindigkeit - der Lichtgeschwindigkeit - orientieren. Jene letzte Ge-schwindigkeitsmauer - nach Schall- und Hitzemauer - ist heute erreicht. „Wir erle-ben die Entwicklung von sogenannten Echtzeit-Technologien.“4 Die Annäherung an die absolute Geschwindigkeit läßt das Nacheinander in einem Geschwindig-keitsblitz des scheinbar Gleichzeitigen aufgehen. Damit ist nun die Voraussetzung für eine echtzeitfähige Interaktion erfüllt, was schlußendlich optimale Bedie-nungsoptionen bei modernen Klangerzeugern erwarten läßt. Instantaneität bietet die Gewähr für umfängliches, kreatives Klangmanipulieren und gerinnt so zum Maßstab für alles Klanggestalten, womit im Umkehreffekt das Instantane selbst für Klanggestalter zu einem diese bewegenden Maßstab wird. Das Arbeiten an Bildschirmen, worunter auch Displays jedweder Art und Größe zu fassen sind, wird dort abverlangt, wo es um Klangformung geht. Wo früher konkrete Materialitäten notwendig waren, um Klang zu gestalten, sind es heute in erster Linie Pixel-Immaterialien, welche - zusammengerafft zum Bild - Klangei-genschaften bezeugen. Die konkreten Bedienungsmöglichkeiten werden also im-mer weiter reduziert zugunsten ihrer immateriellen Supplemente. Dabei gilt zu-dem, daß Materialitäten und die an sie gebundenen Funktionen nicht nur supple-mentiert, sondern Funktionen so weit als möglich auch automatisiert werden. Au-tomatisierung bedeutet zugleich, daß der Mensch dabei aus dem Processing ausge-klammert wird. „Bei jedem kombinierten Gebrauch von Rechenhilfsmitteln be-stimmt, wie bei jeder Kombination von chemischen Reaktionen, das langsamste 1 Reith, Dirk: Zur Situation elektronischen Komponierens heute. In. Gruhn, Wilfried (Hg.): Reflexionen über Musik heute. Mainz/London/N.Y./Tokio 1981, S. 100f. 2 Ebd., S. 101 3 Stange, Joachim: Die Bedeutung der elektroakustischen Medien für die Musik im 20. Jahrhundert, a.a.O., S. 251 4 Virilio, Paul: Revolutionen der Geschwindigkeit. Berlin 1993, S. 8