MUSIKMASCHINEN 162 UND KLANGFINDUNG rend traditionelle Klangformung also noch den ganzen Körper fordert, ist das kör-perorientierte Handlungsrepertoire bei allen elektronischen Instrumenten - egal ob analog oder digital - weitgehend reduziert auf die Bedienung von Parameterkon-trollen und somit fast vollständig ausgegrenzt. Klangformung ist nicht mehr das Ergebnis einer sinnlich-konkreten Auseinandersetzung mit dem Instrument, son-dern sie basiert im wesentlichen auf dem Vermögen, sich der Klangbausteine, und das heißt, des Syntheseprinzips im Geiste zu vergegenwärtigen. Erst dann kann ge-zielt über die Bedienungselemente auf die einzelnen Klangbausteine Einfluß ge-nommen werden. Digitale und analoge Klangformung beruht im Unterschied zur traditionellen Klanggestaltung also vermehrt auf einem abstrakten Vorstellungs-vermögen. Ins Allgemeine gewendet, wäre auch mit Dietmar Kamper zu formulie-ren: „Zivilisation als Transformation des Körpers ins Geistige war und ist nämlich auf der anderen Seite Abstraktion vom Körper.“1 Die in der Nachfolge von analogen Synthesizern stehenden digitalen Synthesizer stellen weitere Anforderungen an das Vorstellungsvermögen von Anwendern und forcieren weiter die Notwendigkeit zur Abstraktion des Denkens. Der auch schon für analoge Synthesizer beschreibbare, sinnliche Komponenten vernachlässigende Klanggestaltungsprozeß erfährt mit den digitalen Systemen eine weitere Reduktion eines sinnlich-konkreten Zugangs. Noch analoge Synthesizer, die ja auch schon keines spezifischen körperlichen Einsatzes oder einer spezifischen Körperhaltung mehr bedurften, um einen bestimmten Klang zu erzeugen, und der beschriebenen Tendenz zur Abstraktion entsprachen, boten trotzdem noch eine z.T. auf sinnliche Komponenten basierende Klangerzeugung. Zur Klangentwicklung bedurfte es des Fingerspitzengefühls und des behutsamen Umgangs mit den Parametern, um so Klangnuancen gleichsam tastend und hörend zu erzielen. Zu grob ausgeführte Bewegungen am Regler konnten die Charakteris-tik des gesamten Klang verändern, und es bedurfte einer erneuten behutsamen An-näherung an das vorgestellte Klangideal. Das Fixieren und das Rekonstruieren von Klängen war nur mit Hilfe von Daten-blättern möglich, auf denen die ungefähren Parametereinstellungen registriert wer-den konnten, um später Orientierungshilfe bei der Neuregistrierung des Klanges zu bieten. Eine identische Reproduktion eines Klanges war durch die Unmöglichkeit einer identischen Parametereinstellung völlig ausgeschlossen. Betriebszustände konnten - wie etwa bei Mini-Moog und anderen frühen analogen Systemen - weder in Form von distinkten Zahlenereignissen abgelesen noch abgelegt, also gespei-chert werden. Einen für gut befundenen Klang wiederherzustellen, bedeutete also immer wieder eine erneute Annäherung an das Klangideal, bei dem Auge, Ohr und taktiles Empfinden ein jedes Mal gleichermaßen beteiligt und gefordert waren: * Das Auge, das die Reglereinstellungen mit denen des Datenblattes überprüfte, * das Ohr, das das Klangereignis kontrollierte und mit dem aus der Erinnerung zu vergleichen suchte, 1 Vgl. Kamper, Dietmar/Wulf, Christoph: Blickwende. Die Sinne des Körpers im Kon-kurs der Geschichte. In: dies. (Hg.): Das Schwinden der Sinne. Ffm 1984, S. 9-21, hier S. 12