Software(Im)Materialien oder: Vom Instrumentenkörper zum Körperinstrument „Die Dinge um uns herum schrumpfen, ‘Miniaturisierung’, und werden immer bil-liger, und die Undinge um uns herum schwellen an, ‘Informatik’.“1 Was in der Welt voranschreitet, ist die Entmaterialisierung der Dinge und Kör-per und das aktionslose Agieren im Datenraum. 1925 fragt Erwin Stein im Ange-sicht einer zunehmenden Mechanisierung der Musik: „Läßt sich Musik vom Musi-zieren trennen?“2 Ausgedrückt ist darin eine Frage, die im Zeitalter der elektroni-schen Datenverarbeitung von unveränderter Aktualität ist und Relevanz hat derge-stalt, daß in einer computerprozessierten Musik der Akt des Musizierens weitge-hend abgelöst ist vom mit Instrumenten hantierenden Musiker überkommener Pro-venienz und somit für manchen Zeitgenossen darin auch der Bruch zwischen der Musik und dem Musizieren vollzogen ist. Gleichgültig aber, wie auch immer man zu dieser Frage Stellung zu beziehen sucht, in jedem Falle ist ein Musizieren unter veränderten Medienbedingungen der Neudefinition überstellt, welches in keiner Weise vergleichbar mehr ist mit der begreifbaren Instrumentenwelt von Körperma-terialitäten. Die Regression der letzten Materialitäten zugunsten von Immaterialien ist aller-orten zu beobachten und macht sich auch fest an der Verlagerung des Interesses weg von der Hardware hin zur Software, auch dort, wo die Hardware noch unver-zichtbarer Bestandteil von musikalischen Prozessen ist. Das ist im vorangegange-nen am Beispiel von Klanggestaltern deutlich geworden, die ihre Aufmerksamkeit mehr der Flächenwelt eines Punktdisplays zuwenden, als den - sofern noch vor-handen - konkreten Bedienungsmaterialitäten von Musikhardware. Auf allen Ebe-nen von Musikhardware ist die Verflüchtigung von Materialitäten fortgeschrieben. Dies sei zunächst paradigmatisch dokumentiert anhand der Sequencer-Software der Firma Emagic, dem NOTATOR LOGIC. Eine Option dieser Sequencer-Software ist es, neben der Möglichkeit, Daten- Events aufzuzeichnen, zu bearbeiten und wiederzugeben, ein getreues virtuelles Abbild der Hardwareumgebung zu geben. Selbst da, wo also Synthesizer noch Be-dienungsmaterialitäten aufweisen, lassen sich mit dieser Software virtuelle Äquiva-lente erstellen, die verbleibende konkrete Bedienungselemente der Synthesehard-ware der Funktionslosigkeit überstellen. Dies alles wird im sogenannten „En-vironment“- Fenster verfügt. Und schon der Name macht auf die Funktion auf-merksam, eben als „Umwelt“ zu funktionieren. Mit dem Öffnen dieses Fensters tritt man ein in eine gänzlich andere - immaterielle -, doch gleichzeitig wohlver- 1 Flusser, Vilém: Dinge und Undinge. München/Wien 1993, S. 86 2 Stein, Erwin: Realisierung der Musik. In: ders. (Hg.): Pult und Taktstock, II. Jahrgang 1925, Heft 2/3, S. 28