MUSIKMASCHINEN 172 UND KLANGFINDUNG so immer andere chipverwirklichte Möglichkeiten verbergen, ohne noch auf ihre Existenz aufmerksam zu machen. Ihre Existenz beweisen sie für Anwender nur noch durch die Anwesenheit des Nicht-Existenten - der Software. Sicher, „Es gibt keine Software“1, wie auch schon der Titel eines Aufsatzes von Friedrich Kittler verkündet, und darin ist nur ausgedrückt, daß eine jede Software-welt letztendlich auf Hardware angewiesen und auf diese zurückzuführen ist, also auf irgendeine, wenn auch noch so geringe Materialität: den Chip. Doch mag der Chip schließlich als letzte Materialität auch existent bleiben, alles andere um ihn herum wird trotzdem der völligen Bedeutungs-, weil Funktionslosigkeit anheimge-geben sein. Gerade im Chip manifestiert sich ja das Immaterielle, durch ihn verla-gert sich alles in die Welt des Nichtanfaßbaren: Der Computerchip operiert diskret als letzte bedeutungsvolle Materialität, die zudem dem Menschengeist nicht mehr begreifbar und nicht mehr zugänglich ist. Nicht nur sagt die konkrete Form der Materialität Chip nichts mehr etwas über seine Funktion aus, auch die Architektur der Leiterbahnen entzieht sich der menschlichen Vorstellungsgabe, seit Computer der vorangegangenen Generation jeweils die Chipgeneration ihrer eigenen Nach-folger errechnen. Menschengeist kann dem längst nicht mehr folgen. Und so sind auch jene letzten Materialitäten Erzeugnisse von Computerberechnungen und gründen also auf virtuellen immateriellen Ereignissen, die sich nicht einmal mehr ihren Konstrukteuren bis ins Letzte erschließen. Diese Nichtzugänglichkeit ist nun auf der Ebene der Klang- und Musikproduk-tion fortgeschrieben. Wo Klänge sich von ihren Körpern lösen und die einzige Ma-terialität, die bleiben muß, die der universalen Maschine Computer ist, ist das Er-gebnis einer solchen Klangerzeugung das einer letztendlich körperlosen Kunst. Der Computer besticht durch seine Unspezifik und die Einstellung ihm gegenüber ist durch diese bestimmt. Der spezifische Klang bedarf keiner besonderen Körperhal-tung von Musikern und auch keiner spezifisch ausgeformten Materialität mehr. Computergeneriert ist die Haltung ihm gegenüber schlicht von Indifferenz geprägt (vgl. Abschnitt Knöpfe - Schalter - Punktdisplays). Und das ist das Körperlose ei-ner Kunst, das (Klang-)Ereignis, das sich in nichts mehr spiegelt - in keinem Klang- noch Menschenkörper. Weitaus mehr noch als für den Vorgang der reinen Klangerzeugung gilt das Ge-sagte für die wie auch immer zeitlich organisierte Zusammenführung von Klangsi-ngularitäten zu Musik. Auch ein solches Musikereignis erscheint spiegellos, ohne wirkliche Gegenständlichkeit. Nichts gibt es mehr, woran es sich zu stoßen und kein Instrument, das es zu bewältigen gilt. Der Ton, der beim Erklingen schon wieder im Verschwinden begriffen ist, gründet nunmehr auf einer Technologie, die im Verborgenen arbeitet und sich verleugnet und einem Processing, das immateri-ell - wie der Ton - nicht faßlich ist. Es ist die Apotheose der Flüchtigkeit auf der Grundlage des Nichts - weil Immateriellen - im Bereich des Musizierens fortge-schrieben. Unabhängig, ob ein Spielen nach Vorlage oder ein freies Improvisieren ange- 1 Kittler, Friedrich: Es gibt keine Software. In: Ders.: Draculas Vermächtnis. Techni-sche Schriften. Leipzig 1993, S. 225