SOFTWARE(IM)MATERIALIEN 175 und Gehirn respektive Menschengeist wird also weitgehend supplementiert durch die Verschaltung von Maschinengeist mit Menschengeist.1 Wenn also Vilém Flus-ser vom Musikhören als einem Vorgang einer „Vergeistigung des Körpers durch Akustik“ spricht, so bleibt diese beim Musizieren unter Computerbedingungen wie sie NOTATOR LOGIC u.a. Programme gewähren zwar bestehen, doch treten andere Komponenten hinzu, welche jene körperbedingte Vergeistigung zurückdrängen und Geistesarbeit dorthin zurückführen, wo man sie gemeinhin auch vermutet: in das Gehirn und damit auf die Ebene des Immateriellen, denn Geistesarbeit wird - wiewohl notwendigerweise auf die Masse Gehirn angewiesen - so doch trotzdem nicht als mit den physikalischen Prozessen im Gehirn gleichgesetzte verstanden.2 Zugleich ist fortan eine bestimmte Form der Geistesarbeit gemeint und prämiert, und zwar eine, die in erster Linie logisch fundiert und nachvollziehbar ist. Eine je-de andere aber wird nunmehr vornehmlich negativ konnotiert. Mit dem Blick auf die Monitorschauwelt des Computers ist die Geistesarbeit körperlos geworden. Aussagen über ein im großen Umfange vom Körper abgelöstes Musizieren kor-respondieren unbenommen mit der Frage einer gesellschaftlich prämierten Geis-tesarbeit, welche gleichfalls körperlos gedacht ist. So läßt sich die Frage, ob die Musik vom Musizieren abzulösen ist, zugleich erweitern um die Frage „Ob man 1 Am prägnantesten ist dieses supplementierte Verhältnis von Körper zu Geist und Ma-schinengeist zu Menschengeist wohl ausgeprägt bei Entwicklern von Software. In dem Buch „Geistmaschine“ von Christel Schachtner haben Softwareentwickler in Bildern und Worten ausgedrückt, wie sie ihr Verhältnis von Körper und Geist bei der Arbeit definieren. Die Bilder deutend, schreibt Christel Schachtner: „Die Bilder werden von Köpfen beherrscht; sie zeigen entweder nur Köpfe, oder die Köpfe sind überproportio-nal groß. [...] Häufig sind verkümmerte Körper zu sehen, Körper, die nur als Strich-männchen angedeutet oder leere Hülsen sind, Körper, die nach unten konturloser wer-den, in eine Linie münden, Körper, dünn und klein unter übermächtigen Köpfen. Zu sehen sind auch Menschen, deren Brust und Bauch im Kopf aufgehen und deren Arme und Beine wie Fliegenbeine an den ‘Kopfmenschen’ hängen. [...] Auf anderen Bildern gibt es unterhalb des Kopfes oder Gehirns überhaupt keinen oder nur einen unvoll-ständigen Körper“ (Schachtner, Christel: Geistmaschine. Ffm 21993, S. 152/156). Bei der Arbeit wird der Körper „nicht nur nicht gebraucht, er verschwindet, ist nicht mehr existent. [...] Es wird, so schildert eine Softwareentwicklerin, als befremdlich empfun-den, wenn der aus der Erfahrung entschwundene Körper sich doch bemerkbar macht, wenn er Hunger anmeldet oder Temperaturempfindlichkeit. ‘Es war oft so bei meinen Kollegen’, berichtet sie, ‘daß ich den Eindruck hatte, es ist jetzt regelrecht verboten, Hunger zu haben (lacht), wenn ich am Computer sitze. Also die haben das auch viel weniger zugeben können als ich. (...) Ich weiß nicht, ich hab’ so den Eindruck, das gilt unter Informatikern als unfein, auch leibliche Bedürfnisse zu haben (Pause), also auch zu frieren oder zu schwitzen. Wichtig ist nur das Denken’“ (Ebd. S. 158). 2 Das hat seine Begründung darin, daß aus den in einem Gehirn zu messenden elektri-schen Strömen die Gedanken nicht zu rekonstruieren sind. Gedanken sind zwar auf der Basis der physikalischen Prozesse heraus entworfen, sie sind aber nicht jene Ströme.