MUSIKMASCHINEN 180 UND KLANGFINDUNG Mensch, die statthat. Der Mensch gewinnt Einsichten über sein selbstgefertigtes Modell und beginnt sich im Angesicht mit dem Modell, dem Modell anzugleichen. Das Modell des Denkens, das die Maschinen bieten, ist also nicht das Denken selbst, sondern immer - wie Jean Baudrillard es ausdrückt - nur „das Schauspiel des Denkens, und die mit ihnen hantierenden Menschen geben sich mehr dem Schauspiel des Denkens als dem Gedanken selbst hin.“1 Dem gebotenen Schau-spiel beginnen sich die Menschen anzupassen, „sie formen sich selbst nach dem Bild ihrer Technik.“2 Aus diesem Schauspiel sich ergebende Ereignisse nehmen gleichsam Einfluß auf den Menschen und verändern ihn. Mit der einseitigen Ausrichtung des Computermodell des Denkens auf die an-gewandte Logik, gründend auf der Fertigkeit des Menschen zum Kalkulieren und zum rationalem Denken, sind all jene, nicht formallogisch zu definierenden Denk-fertigkeiten ausgegrenzt, und das heißt auch jene ganzheitlich wahrnehmende Kör-perwelt des Menschen. Wenn der Mensch - rückgekoppelt mit der Maschine - da-rin ein Modell seiner selbst erkennt, dann ist ein wesentliches Moment aus der Welterschließung herausgenommen. Und zwar jene „körperliche Art der ‘Daten-verarbeitung’, bei der die Bedeutung des Ganzen der Bedeutung der Teile vorher-geht“. 3 Mit dem Computer ist also eine explizite Unterscheidung und Trennung zwischen Hardware (Körperwelt) und Software (Geisteswelt) getroffen, wobei der Computer seinen Schwerpunkt auf die Geistesarbeit legt, welche zudem nach rein rationalen Gesichtspunkten operiert. Das eben Gesagte gilt für das Musizieren im besonderen. Der Körper ist ein Wahrnehmungsinstrument, der im Zusammenspiel mit dem Geist erst eine spezifi-sche Musik zu produzieren versteht, die unter Ausklammerung des Körpers eine andere wäre. Die weitgehende Reduktion auf die Monitorschauwelt von Musik-technologie ist eine Abkehr von der Materialitätenwelt, begründet damit die einsei-tige Betonung der rationalen Welt des Computers und einen weitgehenden Ver-durch die Frage, ob sich eine Maschine in einem Dialog mit einem Menschen so be-währen kann, daß dieser ihrer Maschinenhaftigkeit nicht mehr gewahr wird. Turing entwirft zur Überprüfung dieser Frage ein Szenario, bei dem eine Versuchsperson zum einen mit einem menschlichen Gegenüber als auch zum anderen mit einem Computer kommuniziert. Die Versuchsperson kann bei diesem Spiel nur indirekt über eine neut-rale Schnittstelle mit dem Gegenüber kommunizieren. Über ein Frage-/Antwortspiel hat die Testperson zu entscheiden, ob es sich beim den antwortgebenden Gegenüber um Mensch oder Maschine handelt. Wenn dieses Experiment eines Tages gelingen sollte (bis heute sind alle Versuche gescheitert), so kann man nach Turing davon aus-gehen, daß die Maschine denkt, auch wenn die Maschine dabei völlig anders operieren sollte, als das menschliche Gehirn (vgl. Turing, Alan: Intelligence Service, hrsg. von Dotzler, Bernhard/Kittler, Friedrich, a.a.O., S. 147-183). Dieses Experiment ist geläu-fig unter dem Namen seines Erfinders, heißt „Turings Test“ und bewegt KI-Forscher jedes Jahr aufs Neue, wenn sie ihre neuesten Programme diesem Test zuführen. Baudrillard, Jean: Das Xerox und das Unendliche. In: Rötzer, Florian/Weibel, Peter (Hg.): Cyberspace. München 1993, S. 274 2 Bolter, J. David: Der digitale Faust, a.a.O., S. 23 3 Dreyfus, Hubert L.: Was Computer nicht können, a.a.O., S. 204