SOFTWARE(IM)MATERIALIEN 181 zicht auf die der Formalisierung entzogenen Welt der Körpererfahrung. Solange Empathie und Mitschwingen eines Körpers nicht auf Algorithmen gebracht werden können und das Auge konzentriert auf die Schnittstelle Monitor ist, wird eine auf Computertechnologie basierende Musik in ihrem Ausdruck einzig der Computer-modellwelt genügen. Wo denn der Körper aus dem Prozeß der Musikkommunika-tion ausgeschlossen bleibt, wird sich dies in den Ergebnissen eines solchen Kom-munikationsprozesses niederschlagen. Das heißt konkret, mit dem Blick auf die Schnittstelle Monitor und dem Druck auf die Tastatur wird nicht nur Zusammen-klang oder Musik erzeugt, sondern Musik machen mit dem Computer oder mit Musiktechnologie heißt, dem elektronischen Denken gemäß zu operieren, und wei-ter, zunächst einmal logisch und rational mit dem Medium umzugehen. Der Beto-nung der Ratio ist die Regression des Körpers implizit. Gleichwohl ist einer sol-chen computerprozessierten körperlosen Musik ihr Vorbildcharakter inhärent, weil in ihr bestimmte musikalische Qualitäten besondere Hervorhebung erfahren, wie sie dem traditionellen Musizieren nicht gegeben sind; so beispielsweise die exakte Wiederholbarkeit des musikalischen Ereignisses, die völlige Kontrollierbarkeit des Klanges u.ä. Mit der Vernachlässigung des Körpers und dessen Funktionalität ist ein wesent-liches Element aus der Welterschließung und damit auch aus der Musiziererfah-rung herausgenommen. Handeln in der Welt ist immer auch eine körperorientierte Intuition abverlangende, der Ratio nicht zugängliche Welterschließung. Welter-schließung ist - und das gilt gleichermaßen für den Akt des Musizierens - immer auch eine Grenzerweiterung, also eine Überschreitung des schon Bekannten. Musi-zieren ist nie allein reine Reproduktion, sondern immer zugleich - in der Auseinan-dersetzung mit der aufzuführenden Musik - Schöpfungsakt gewesen, und das meint eben ein über das schon Bekannte Hinausgehen, den Regelkreis des Schon- Gedachten übersteigen. Die praktische Betätigung - also die gesamtsensorielle An-teilnahme in Kombination mit dem körperlichen Einsatz, darüber hinaus eingebun-den in die konkrete Situation - ist Voraussetzung, um immer wieder andere, dabei interessante, nicht in allen Einzelheiten vorhersehbare Musikergebnisse hervorzu-bringen. Aus einer innerlich aufgebauten Anspannung heraus, der Auseinanderset-zung mit dem Instrument sowie auch der aufgebauten Beziehung zu Mitmusikern und dem situativen Umfeld ist ein musikalisches Ergebnis zu erwarten, das ganz fraglos als Emergenzprodukt betrachtet werden kann. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile, und das heißt, daß durch die unaufhörliche Rückkopplung al-ler bei einem Musikprozeß beteiligten Personen untereinander sowie deren Rück-kopplung mit den situativen Bedingtheiten das musikalische Ergebnis bestimmt ist. Jene Rückkopplungsgeflechte bleiben aber infolge ihrer Komplexität, die sie aus-bilden, der Beschreibbarkeit, folglich auch der Überführbarkeit in den Computer entzogen. Die Maschine Computer übersteigt nie „ihre eigene Operation, [...] Alle Maschinen sind Junggesellen.“1 Alle Computer sind mit sich selbst genügsame Junggesellenmaschinen, wie es Jean Baudrillard ausdrückt, und sie sind - wie er weiter beschreibt - „tugendhaft“, weil sie aufgrund der Nichtübersteigbarkeit ihrer 1 Baudrillard, Jean: Das Xerox und das Unendliche, a.a.O., S. 275f.