SOFTWARE(IM)MATERIALIEN 185 hend die Rückkehr zum vorelektronischen ganzheitlichen Musizieren zu erlauben. Doch eine solche Annahme ist zumindest zum Teil irrig. Wohl wird der Körper wieder aktiv und in den ganzen Musikprozeß eingebunden, doch gründen die sich ihm dabei unwillkürlich mitteilenden Erfahrungen auf anderen Voraussetzungen, als es bei einem materialitätsgebunden Musizieren der Fall ist. Eine Gitarre spielen lernen heißt, sich mit dem der Gitarre inhärenten „Programm“ vertraut zu machen. Und dieses Programm sagt aus, daß das Anschlagen einer Gitarrensaite auf eine bestimmte Art und Weise einen mehr oder weniger immer ähnlichen Klang zur Folge haben wird. Durch Übung werden sich auf Dauer, ohne daß der Spielende noch bewußt Kontrolle auf seinen Körper auszuüben braucht, dem Programm der Gitarre adäquate Körperhaltungen einstellen, welche auf den gemachten Erfahrun-gen mit dem Instrument gründen und notwendige Voraussetzung für die Erzeu-gung bestimmter Klangnuancen sind. Dieser kann sich der Spieler gewiß sein. Das Programm der Gitarre mag von Instrumentenkörper zu Instrumentenkörper variie-ren, doch nie wird es sich so weit ändern können, daß die über Erfahrung angeeig-neten Körperhaltungen nicht ihren Sinn und Zweck erfüllen würden. Sie werden helfen, bestimmte vom Gitarristen erwartete Klangnuancen Gestalt annehmen zu lassen. Sich mit dem ganzen Körper in virtuellen Räumen zu bewegen und Klänge entstehen zu lassen, heißt, eine andere Erfahrung zu machen. Dem noch beim tradi-tionellen Musizieren im Körper vorgezeichneten Klang fehlt nunmehr der Wider-part - irgendeine Gegenständlichkeit. Mit der Restituierung des Körpers geht ein-her die weitere Immaterialisierung der Instrumentenkörper bis hin zum nicht mehr Faßlichen. Wo bei traditionellen Klangkörpern das Körperprogramm weitgehend festgelegt war, ist jenes fortan der Unbestimmtheit überstellt und bleibt variabel. Bestimmte Körperbewegungen können immer wieder andere Klangereignisse be-dingen. Klangereignisse, die mehr vom unbedingten Algorithmus und weniger von bedingten Körperhaltungen bestimmt werden, müssen ein anderes Körperbewußt-sein aufgrund fehlender Orientierungsmöglichkeiten zur Folge haben. Klangwirk-lichkeiten im virtuellen Datenraum zu erschließen, ist abgelöst von der Möglich-keit, die Materialitätenwelt von Resonanzkörpern zu erforschen und auszuloten. In Algorithmen abgefaßt, bleiben Klänge losgelöst von Materialitäten und Restituie-rung des Körpers bzw. den Körper für das Musizieren neu zu entdecken, bedingt demnach auch, etwas zu begreifen suchen, wo es nichts mehr zu begreifen gibt. Es gibt kein verläßliches Instrumentenkörperprogramm mehr, das man sich durch Übung erschließen und musikalisch nutzen könnte. Ein jedes Greifen nach Klän-gen im Raum ist folglich risikobehaftet, da das Ergebnis ganz anders ausfallen könnte als erwartet. Ein kompetentes Musizieren unter veränderten Medienbedin-gungen setzt voraus, sich der Wirkungen seines eigenen Verhaltens nicht mehr gewiß sein zu können und weiter, jederzeit zur Verhaltensänderung bereit zu sein. Rückgekoppelt mit dem variabel bleibenden Programm, dürften auch die Körperer-fahrungen davon geprägt sein, die in dem jeweils ausgelösten Klangereignis ledig-lich eine Möglichkeit und nicht mehr zwangsläufig als die Folge der Körperhand-lung sich ergebende Notwendigkeit anerkennen. Bot ein traditionsgemäßes Musizieren schon ein komplexes Wechselbezie-