KLANGDESIGN 189 Wissen zu erwerben. Beschrieben wurde im vorausgegangenen, daß digitale Sys-teme diese Spiegelbildlichkeit vermissen lassen, weil die meisten Parameterkon-trollen von der Hardwareoberfläche abgelöst und als Softwareoption ins Innere des Gerätes verlagert werden. Durch die grundsätzliche Ablösung von Bedienungsele-ment und spezifischer Funktion ist das dem jeweiligen Synthesizer zugrundegeleg-te Syntheseprinzip nicht mehr allein mit Hilfe des Augensinnes von der Hardware-oberfläche abzulesen. Ein wesentlicher Grund für die fehlende Augenscheinlich-keit liegt in der Schrumpfung der Hardware und der damit einhergehenden Erwei-terung von Software begründet. Trotz einer zunehmenden Miniaturisierung von Computersystemen lassen sich immer mehr Funktionen auf immer kleinere, dabei immer leistungsfähigere Chips brennen, so daß - bei einer jeweiligen analogen Entsprechung einer digitalisierten Funktion - die Bedienungsflächen von Synthesi-zern kaum mehr oder auch schon nicht mehr die Vielzahl von Parameterkontrollen aufnehmen können.1 Als erstes Syntheseinstrument, das Materialitätenoberflächen überforderte, darf fraglos der erste volldigitale Synthesizer, der DX-7 aus dem Jahre 1983 von Ya-maha angesehen werden. Noch ganz der Tradition analoger Synthesizer verpflich-tet und einem Denkverständnis, dem die Konsequenzen von Software-Synthese- „Parametergräbern“ noch fremd waren, wurde seinerzeit von der Firma Jellinghaus ein optionaler Hardware-Programmer mit mehr als 30 Schaltern und 148 Drehpotis für jenen „Milestone“ der Synthesizerentwicklung gebaut, der an Größe und Ge-wicht den eigentlichen Synthesizer übertraf. Obwohl der „Blick auf den Program-mer einen lückenlosen Überblick über Aufbau, Möglichkeiten und Features des In-strumentes“ 2 bot, war der Verkaufserfolg mit einer Stückzahl von 25 eher beschei-den zu nennen. Bedenkt man darüber hinaus, daß der DX-7 bis zu seiner Produkti-onseinstellung im Jahre 1986 mit über 200000 Stück das meistverkaufte Synthe-seinstrument überhaupt darstellte, gewinnt die Zahl 25 nochmals an Gewicht. Zu-rückzuführen ist jener Mißerfolg in erster Linie auf die Materialität des Program-mers. Hardware ist teuer, so daß jener Tester im Jahre 1985 sicherlich recht hatte, als er schrieb, daß der nicht unerhebliche Preis „den Käuferkreis leider einschrän-ken“ 3 werde. Das Zeitalter der Software kostet Materialitäten ihre Existenzberech-tigung. Nicht nur Platz-, sondern gleichwohl auch Kostengründe sind es demnach, die auf konkrete Anschaulichkeit und das meint, auf Materialitäten verzichten lassen. Indem nun immer mehr Funktionen auf immer weniger konkrete Parameterkontrol-len verteilt und der Anschaulichkeit entzogen werden, mutieren Musiksysteme zwangsläufig zu „Black Boxes“, so daß deren Äußeres aber auch in keiner Weise mehr auf ihre Funktion einen Rückschluß erlauben muß. Florian Rötzer sagt dazu: „Die Veränderung der ästhetischen Gestaltung vom Gegenstand zum Prozeß läßt der Computer selbst als Objekt im Gang seiner fortschreitenden Miniaturisierung sichtbar werden. Die klassische Formel des funktionalistischen Designs - form 1 So sieht der Yamaha Synthesizer TG 77 schon über 1500 Parameterkontrollen vor. 2 Becker, Matthias: Synthesizer von gestern: Yamaha DX-7. In: Keyboards 4/94, S. 76 3 Thewes, Martin: DX-Programmer-Test. In: Keyboards 5/85, S. 72