VOM RAUSCHEN DER KANÄLE 209 beispielsweise bei einem chorähnlichen, „Itopia“ genannten Klang.1 Doch scheint ein Unterschied zwischen jenem vorab gebilligten Rauschpotential und dem nicht beeinflußbaren, sich quasi nach eigenen Maßstäben sich selbst Gehör verschaffen-den Rauschen der generierenden Materialität gegeben. Durch die Nichtbeeinflußbarkeit des Rauschens schreibt sich die konkrete Mate-rialität der Kommunikation - hier der zum Beispiel genommene Synthesizer D-50 - mit in den Klang ein. Wie und in welcher Intensität diese ganz konkrete Materiali-tät sich bemerkbar macht, ist vom Medium bestimmt, also quasi von zufälligen und vom Musiker nicht beeinflußbaren und vorhersehbaren Faktoren bestimmt. Aus je-nen Zufälligkeiten, jenen Unvorhersehbarkeiten ergeben sich ja gerade die innova-tiven musikalischen Informationen des D-50. Gleichzeitig ist ein Klangprogram-mierer oder Musiker (was nicht dasselbe sein muß), der eine ganz konkrete klang-liche Vorstellung umsetzen will, gezwungen, sich mit den Unzulänglichkeiten des klangerzeugenden Instrumentes kreativ auseinanderzusetzen und zu arrangieren, will er die sich selbst schreibende Materialität nicht als störendes Hintergrundrau-schen akzeptieren. So mag es sein, daß ein klangprogrammierender Musiker seine Vorstellung von Klang dahingehend korrigiert, daß er diesem Frequenzen bei-mischt, die ein unliebsames Rauschen überlagern. Andererseits mag sich beim Programmieren des Klanges die Erkenntnis einstellen, daß ein zuvor als störend empfundenes Rauschen diesen um klangliche Facetten bereichert und ihm einen zuvor nicht vermuteten Charakter verleiht. Der Flötenklang „Shakuhachi“ ist mög-licherweise das Ergebnis eines solchen kreativen Prozesses. Wenn Vilém Flusser von der Geste des Schreibens sagt, daß beim Schreiben „der Schreibende eine in ihm verborgene Virtualität durch zahlreiche widerständi-ge Schichten drückt“2, so gilt dies gleichermaßen für das eben Beschriebene. Jene Widerstände sind nicht nur in einem „störenden“ Rauschen zu sehen, sondern sind weitaus vielfältigerer Natur, doch wird hierin die aktive Auseinandersetzung mit der Materialität - der Widerstand, den das Medium leistet oder das Hindernis, das es bietet und das es zu überwinden gilt - besonders deutlich. Ungewollt ist also dem D-50, jenem Instrument vom Anfang der 80er Jahre, ein originalitätsstiftendes Potential in Form von einem nicht aufhebbaren Rauschen beigegeben worden. Mangelhafte Technik prägte den Charakter von Syntheseklängen. Die Eliminie-rung jener konstruktionsbedingten klangbeeinflussenden Mängel führen beim Nachfolgemodell D-70 zu einem Klangpotential, das zu einem guten Teil Charak-ter vermissen läßt: „Waschechte D-50 Sounds vermißt man somit unter den Werk-patches“. 3 Statt dessen ist eine „bunte Sammlung“ dessen zu finden, „was man landläufig als ‘Keyboardsounds’ bezeichnet. Also Pianos, E-Pianos, die ‘Streich/Blas/ Pfeif-Abteilung’, verhuschte Kreativsounds und sphärische Sample- Abwandlungen.“4 In der Beschreibung der bunten Sammlung drückt sich aber auch 1 Vgl. Gorges, Peter: Testbericht über den Yamaha Synthesizer SY-99. In: Keyboards 8/92, S. 64 2 Flusser, Vilém: Gesten, a.a.O., S. 43 3 Gorges, Peter: Testbericht über den Roland Synthesizer D-70, a.a.O., S. 122 4 Ebd., S. 122