DISKRETE ARCHIVE 221 zelnen Gerätetypen miteinander verschalten. Mit der AES/EBU- oder der S/PDIF-Schnittstelle1 sind solche Kommunikationsebenen vorhanden. Digitale, vom Syn-thesizer generierte Datenmengen können somit unmittelbar zu einem anderen Da-ten- Manipulationen eröffnenden Speichersystem transferiert werden, ohne daß die Ebene des Digitalen verlassen werden muß. Diese Möglichkeit einer rein digital er-folgenden Aufzeichnung hat nun Konsequenzen für das bislang noch postulierte analoge Ereignis in der Zeit und für die weiter unterstellte Annahme, die zu Schall gewandelte digitale Information würde in irgendeiner Form - trotz der in den vo-rausgegangenen Abschnitten dagegen angeführten Vorbehalte - dieses analoge Zeitereignis noch repräsentieren. Es besteht nunmehr prinzipiell die Möglichkeit, Daten zu archivieren und zu Schall zu wandeln, die auf keinem vorangegangenen analogen Schallereignis mehr gründen müssen. Erst im digitalen Speichersystem werden die Datenmengen auf einen Befehl hin zum ersten Mal zu Klang gewan-delt. „Digital-Analog-Wandlungen wären einzig und allein dann nötig, wenn das musikalische Ergebnis abgehört werden muß oder beim Endverbraucher landet. Das musikalische Signal selbst verläßt den digitalen Bereich vom Pult an nicht mehr.“2 Damit die digitale Kette in allen Distributionsbereichen bis zum Endverbraucher geschlossen bleibt, müssen selbstverständlich auch alle mit der Übertragung von Musik beschäftigten Anstalten der fortschreitenden Digitalisierung Rechnung tra-gen: „Beim Digital Audio Broadcast (DAB) und beim digitalen Satellitenrundfunk (DSR) ist die Kette bereits bis zum Endverstärker digitalisiert.“3 Andere Rundfunk-sender werden ganz fraglos folgen. Das so zu Gehör Gebrachte bezeugt keine in der Zeit angesiedelte, aufgezeichnete Musikvorführung mehr, sondern lediglich seine im Moment des Erklingens absolute Gegenwärtigkeit, die im vorangegange-nen keinerlei Entsprechung mehr erfährt. Das ist dann der „vanishing point“, von dem Baudrillard spricht, der Punkt „an dem etwas verschwindet und sich verflüchtigt - der Punkt, [...], nach dem nichts mehr wahr ist“4, welcher sich nun für die Musik vor dem Hintergrund eines mög-lich gewordenen rein digitalen Kreislaufes endgültig abzuzeichnen beginnt. Der perfektionierte Maschinenkreislauf wird also den endgültigen Kausalitäts-bruch vollziehen und zwar dergestalt, daß Musik fortan keine zu Schall gewandelte mehr sein wird, sondern sich nur noch als zirkulierende 0/1-Datenfolge präsentie-ren wird, die einzig zum Zwecke der Musikrezeption beim Hörer noch einer letzten Wandlung bedarf und damit ausschließlich ihre definitive Gegenwärtigkeit bezeugt und jeden Repräsentationscharakter negiert. Eine computerprozessierte Musik löst sich mehr und mehr von ihrem physikali-schen analogen Vorbild und verkörpert gleichzeitig durch ihre allgegenwärtige Präsenz in den Kommunikationsmedien als digitales Bit-Ereignis auch die Realität 1 AES = Audio Engineering Society, EBU = European Broadcasting Union, S/PDIF = Sony/Philips Digital Interface 2 Fischer, Nirto Karsten: Das digitale Studio, a.a.O., S. 69 (Keys 1/91) 3 Coy, Wolfgang: Aus der Vorgeschichte des Mediums Computer, a.a.O., S. 35 4 Baudrillard, Jean. Das Jahr 2000 findet nicht statt. Berlin 1990, S. 15