VON DER EINSCHREIBUNG ZUR NEUSCHREIBUNG 224 DER MUSIK bestimmt der „Ankunftsort auf der Hirnrinde in erster Linie den Charakter der Empfindung und nicht das Sinnesorgan, von dem sie kommen.“1 Wenn dies so ist, so lassen sich aber analoge Reize von vornherein auf digitalem Wege erzeugen - also Stimulation von Neuronen durch direkte Erzeugung elektrischer Impulsfolgen, ohne daß dazu noch irgendein Schallereignis notwendig wäre. Schon längst ist die Wissenschaft darum bemüht, den Menschen auch um die mechanisierten Sinnesorgane Auge und Ohr zu ergänzen und also das menschliche Auge und Ohr zu umgehen, was heißt, „die Nervenfasern direkt elektrisch so zu reizen, daß der mechano-elektrische Wandlungsvorgang ersetzt wird.“2 Was in der Zukunft eigentlich dazu gedacht ist, Blinden und Tauben durch Seh- und Hörhilfen wieder ihre Sinnesumwelt zu erschließen, mag darüber hinaus aber auch unver-sehrte Sinnesorgane durch Sinnesprothesen gleich mit zu ersetzen. „Denkbar wä-ren doch Verstärkungen und Erweiterungen der Sinne“3 wie Peter Gendolla schreibt, und so werden die natürlichen Sinnesschnittstellen Auge/Ohr eines Tages vielleicht ersetzt durch künstliche, leistungsfähigere Schnittstellen, die neue Wahr-nehmungsbereiche erfahrbar machen. Das Schnittstellensupplement Auge/Ohr kann die Trägheit des Menschenauges umgehen und das dem Menschenohr zu-gängliche Frequenzspektrum erweitern, damit eine an begrenzte Verarbeitungsge-schwindigkeiten gebundene Sinneswahrnehmung durch Erschließung neuer Ge-schwindigkeitsdimensionen weiter optimieren und dadurch nicht nur neue Sicht-und Hörweisen eröffnen, sondern dem Menschen eine neue Zeitwahrnehmung und einen neuen Lebensrhythmus auferlegen. Menscheneigene evolutiv bedingte Le-bensrhythmen würden durch technisch vorgegebene Lebensrhythmen einer Wand-lung unterliegen und infolge der weitgehenden Substituierung von Körperorganen durch die Taktung der Implantate gleichsam ersetzt werden. Das „metabolische Fahrzeug“ (Paul Virilio) Mensch mit seiner ihm eigenen Ge-schwindigkeit, die maßgeblich bestimmt ist von den Rhythmus des Herzens, der Atmung, des Gehens und auch dem Auflösungsvermögen seiner Sinnesrezeptoren, hat schon mit der „Erfindung“ des ersten Transportmittels - des Pferdes - seinen ihm eigenen Lebensraum und -rhythmus durch Geschwindigkeitspotenzierung durchbrochen und neue Zeitkonstituenten in Kraft gesetzt. Der von den beschleu-nigten Rhythmen einer mechanisierten Umwelt durchdrungene Mensch, entbunden nunmehr auch des natürlichen Auflösungsvermögens der Sinnesrezeptoren, wird nehmend, wie folgt beschrieben: „Wenn alle Formen des Wissens in der Welt auf vari-ierende Ströme in Schaltkreisen reduziert werden können und auch das Menschenhirn nach eben diesem Schema prozediert, müßte Interzeption in einem radikalen Sinne möglich sein. Interzeption meint ja den unmittelbaren Übergang von einem elektri-schen Phänomen (inside) zu einem anderen elektrischen Phänomen (outside), ohne daß es erst in eine mechanische Bewegung transformiert werden müßte“. (Bolz, Norbert: Am Ende der Gutenberg-Galaxis, a.a.O., S. 216). 1 Walter, W. Grey, zitiert nach Flechtner, Hans-Joachim: Grundbegriffe der Kybernetik, a.a.O., S. 154 2 Thurm, Ulrich, zitiert nach Gendolla, Peter: Zeit. Köln 1992, S. 83 3 Gendolla, Peter: Zeit, a.a.O., S. 83