ÜBERBELICHTETE MUSIK 225 neuen Beschleunigungen evozierenden Rhythmuspotentialitäten ausgesetzt und un-terworfen, die sich ausschließlich an der Geschwindigkeit des Lichts orientieren.1 Gegeben ist schließlich eine Verdoppelung der Wahrnehmung, wobei eine be-grenzte menschliche, mit zunehmendem Alter schlechter werdende, zu einer künst-lichen, je nach Stand der Technik weiter zu qualifizierende, in Konkurrenz tritt. In Anlehnung an Virilio, der vom „Sehen ohne Blick“ und von zukünftig möglichen „Sehmaschinen“ spricht, kann also ähnliches für den Bereich des Hörens erwartet werden2: implementierte Hörmaschinen, denen es gleichgültig ist, ob sie analoge Schwingungen in elektrische Impulsfolgen wandeln oder ob sie gleich digitale Da-tenströme prozessieren, denen dabei weiter die Aufgabe obliegt, nach Programm-vorgabe zu entscheiden, was in welcher Form weitergeleitet wird und denen es da-bei weiter gleichgültig ist, ob sie an leblose Schaltkreise - an Maschinen - konnek-tiert sind oder an Nervenfasern - an menschliche Lebewesen. „Wir stehen heute vor der Automatisierung der Wahrnehmung, der Erfindung eines künstlichen Se-hens, “ und - ich ergänze - eines künstlichen Hörens, „das die Analyse der objekti-ven Wirklichkeit den Maschinen überträgt.“3 In einer Welt der technisierten und damit automatisierten Wahrnehmung ist dann die dem Menschen gegebene, natürliche Wahrnehmung nicht nur ergänzt, sondern durch die künstliche gänzlich substituiert. Die Möglichkeit zur „natürli-chen Wahrnehmung“ ist folglich vollends obsolet geworden, die allerdings - mit Monika Elsner und Thomas Müller - durch die technischen Medien des 20. Jahr- 1 Durch die Trägheit unserer Sinnesorgane nehmen wir nur Töne, die länger als 50ms. sind, als einzelne Melodietöne wahr. Unter diesem Zeitlimit vermischen sich aufei-nanderfolgende Töne zu einem einzigen Klanggemisch. Komponisten wie Ligeti nutz-ten das als Sukzessionsvermischung bekannte Phänomen als kompositorisches Mittel zur Erschließung neuer Klangfarbenbereiche (vgl. dazu: Ligeti, György: Musik und Technik. In: Batel, Günther/Kleinen, Günter/Salbert, Dieter (Hg.): Computermusik. Laaber 1987, S. 13). Eine neue Zeitwahrnehmung könnte sich beispielsweise konstitu-ieren, wenn diese natürlich gegebene Sukzessionsvermischung durch technische Op-timierung von Hörorganen oder durch Implementierung neuer, leistungsfähigerer Hör-organe wieder aufgelöst wird, scheinbar gleichzeitig erklingende Töne wieder als auf-einanderfolgende wahrgenommen werden, was in der Folge „eine Verschiebung der im langen Weg der Evolution fixierten inneren Rhythmen“ bedingen könnte (Gendol-la, Peter: Zeit, a.a.O., S. 83). Mediale Entäußerungen, die zu schnell sind, um vom Menschen noch wahrgenommen zu werden, werden mit Hilfe von Technik zum menschlichen Erfahrungsgut. So wird also - durch Maschinentechnik - Menschen et-was hörbar gemacht, was menschlichen Sinnesorganen, aufgrund ihrer Begrenztheit, verwehrt bleibt: Maschinenmusik. Vgl. auch zum Rhythmus und Tempo: Schafer, R. Murray: Klang und Krach, a.a.O., S. 274-88. Schneider, Norbert Jürgen: Die Kunst des Teilens. München/Zürich 1991, S. 71-135 (bes. S. 121-126). 2 Vgl. Virilio, Paul: Die Sehmaschine. Berlin 1989, S. 133ff. 3 Virilio, Paul: Über mentale und instrumentale virtuelle Bilder. In: Bachmayer, Hans Matthäus/van de Loo, Otto/Rötzer, Florian (Hg.): Bildwelten - Denkbilder. München 1986, S. 269