ÜBERBELICHTETE MUSIK 229 wissen, wie man das macht.“1 Die vielleicht zukünftig mögliche Koppelung an Medien zeigt nur an, was in Teilen schon heute Medienrealität ist. Mit der Koppelung künstlicher Sinneswahr-nehmungssysteme an das Gehirn und der damit verbundenen Möglichkeit freier Datenzirkulation wird nur vollendet, was elektronische Medien und Datenverarbei-tung des 20. Jahrhunderts seit ihrer Inaugurierung verkörpert haben: Ein An-Sich- Selbst-Angeschlossen-Sein. Die Frage, worin eigentlich der Reiz zur Integration des Menschen in die Feedbackschleifen von Medienmaschinen besteht, wenn diese als Ereignis ja doch nur noch den reinen bedeutungslosen Effekt zur kritiklosen Konsumption bereitstellen, sieht ihre Antwort in der Möglichkeit zum Selbstan-schluß. Es ist dieses An-Sich-Selbst-Angeschlossen-Sein, woraus sich die Lust wie Sucht des unaufhörlichen Medienkonsums herleitet und woraus sich auch die Gleichgültigkeit den vermittelten Inhalten gegenüber ergibt. „Heute, nach mehr als einem Jahrhundert der Technik der Elektrizität, haben wir sogar das Zentralnerven-system zu einem weltumspannenden Netz ausgeweitet“2, schreibt Marshall McL-uhan im Jahr 1964. Diese Ausweitung des Menschen wird verständlich, wenn ver-gegenwärtigt wird, daß dem zentralen Nervensystem der eigene Körper als ein Äu-ßeres erscheint. Das Gehirn wird nunmehr nicht mehr an ein begrenztes, organi-sches Äußeres angeschlossen, sondern an technische Medien. Das Gehirn kann in-folge der medialen, globalen Vernetzungen mit der ganzen Welt kommunizieren und sich in die Welt ausdehnen. Dabei erscheint das Gehirn selbst als artifizieller Auswuchs des Körpers, „der also an sich selbst gar nicht mehr zum Körper ge-hört.“ 3 Möglich wird dies, weil es sich bei den elektronischen Medien um Appara-te handelt, „die nicht mehr die Leistungen der peripheren Sinnesorgane spiegeln, ‘nicht mehr die dienenden Glieder, sondern die Befehle empfangende und gebende Zentrale nachahmen, also das Nervensystem’“4, was meint, daß das ZNS als ein die Wirklichkeit errechnendes Steuerungssystem betrachtet wird. Die Ankoppe-lung des ZNS an die elektronischen, heute nunmehr digitalen Netze ist - begreift man die elektronischen/digitalen Systeme als Wirklichkeiten prozessierende Sys-teme und - mit Baudrillard - als Hypostasierung des Modells Gehirn - somit nichts anderes als ein Anschluß desselben an dasselbe und bedingt im Effekt einen Kurz-schluß der Sinne.5 Und als Folge dessen ist zu konstatieren: „Wir lassen uns von den Entäußerungen menscheneigener Funktionen in einem anderen Material faszi- 1 Minsky, Marvin: Alles ist mechanisierbar. In: Rötzer, Florian/Weibel, Peter (Hg.): Cyberspace, a.a.O., S. 131 2 McLuhan, Marshall: Die magischen Kanäle, a.a.O., S. 9 3 Baudrillard, Jean: Videowelt und fraktales Subjekt, In: Barck, Karl Heinz/Gente, Pe-ter/ Paris, Heidi/Richter, Stefan (Hg.): Aisthesis, a.a.O., S. 253 4 Bolz, Norbert: Theorie der neuen Medien, a.a.O., S. 114. Norbert Bolz zitiert hier Ernst Jünger. 5 Jener Kurzschluß der Sinne oder das durch die Entäußerungen der Sinne global mög-lich gewordene „interplay of senses“ (McLuhan) ist konstituierendes Merkmal des elektronischen Zeitalters, dessen Beginn von McLuhan auf das Jahr 1844 - dem Jahr der ersten Telegraphendemonstration - datiert ist.