ÜBERBELICHTETE MUSIK 231 Aus dem Bedürfnis zur Globalisierung des Selbst und der als lustvoll empfun-denen Anteilnahme an den eigenen Sinnesprozessen folgt so auch die Akzeptanz, als „Schaltmoment“ zu funktionieren und folgt schließlich das Selbstverständnis, „Schaltmoment“ zu sein.1 Die perfekte Schnittstelle Mensch-Maschine perfektio-niert auch die Möglichkeit zur Selbstbeobachtung. Künstliche Sinnesorgane, die als Schnittstelle zum Mensch-Medienverbund dienen, können also als logische Folge einer Schnittstellenoptimierung betrachtet werden. Mit dem Beginn der Elektrifizierung der Umwelt - so zeigt sich nun - ist schließlich die letztmögliche Schnittstellenoptimierung, die die Entgrenzung des Selbst und die Ausgrenzung des Körpers betreibt, schon eingeleitet und vorbereitet. Auch ohne die absolute Mensch-Maschine-Synergetik vollendet zu 1 „Deshalb setzen sich immer mehr Computermetaphern für Selbstverhältnisse durch - wir rasten in Schaltkreise ein.“ (Bolz, Norbert: Am Ende der Gutenberg-Galaxis, a.a.O., S. 115). Nach Neil Postman spiegelt sich dieses neue Selbstverhältnis auch im Sprachgebrauch wider: „Immer wieder hört man Leute sagen, sie würden sich ‘programmieren’ oder ein Programm bei sich ‘löschen’. Ihr Gehirn bezeichnen sie als ein Stück ‘Hardware’, bei dem man ‘Daten abrufen’ kann, und die Vorstellung, daß Denken nichts anderes als das Verarbeiten und Dekodieren von Daten sei, ist inzwischen allgemein geläufig“ (Postman, Neil: Das Technopol. Ffm 1992, S. 123). Als ein Beispiel, das dieses neue Denkverständnis sehr anschaulich macht, mag folgende der WAZ (Westdeutsche All-gemeine Zeitung) vom 14.08.93 entnommene Geburtsanzeige dienen: „Unser neues Projekt ist da: [...]/ Hardware: Gewicht 3900 gr./ Größe 54 cm/ lauffähig in ca. 1 Jahr/ Software: Version 1.0/ mit Sprachausgabe/ (wird noch verfeinert);/ 100% kompatibel zu den Eltern: [...]“. Unwesentlich ist hierbei, daß das Geschriebene mit Witz formu-liert ist und auch so verstanden werden soll. Entscheidender ist die Übersetzung ty-pisch menschlicher Eigenschaften und körperlicher Merkmale in den Computerjargon. Wo das Baby zum Projekt, der Körper zur Hardware wird und mit Lauffähigkeitsan-gaben, Softwareversionen sowie Kompatibilitätsangaben menschliche Eigenschaften bestimmt werden, ist das neue Selbstverhältnis „Schaltmoment“ zu sein, grundsätzlich schon angezeigt. Wer hier auch eine Überinterpretation vermutet, der mag seinen Blick nach Japan wenden, wo sich vielleicht das zukünftige Gesellschaftsgefüge schon in Umrissen abzeichnet, das ausschließlich bestimmt sein wird von kommunizierenden Medialitäten und an ihnen angeschlossenen Menschen. Als Beispiel mögen japanische Computerfreaks - die sogenannten „otaku“ - gelten, die ihre Obsession bis zur Beses-senheit treiben. „Otaku verabscheuen physischen Kontakt und lieben Medien, Technik und das Reich der Reproduktion und Simulation im allgemeinen. Sie reden nicht mit-einander, sie ‘kommunizieren’. [...] Sie fühlen sich mit anderen Menschen weniger wohl als mit Maschinen, Materialien, Information“ (Grassmuck, Volker: „Allein, aber nicht einsam“ - die otaku-Generation. Zu einigen neueren Trends der japanischen Po-pulär- und Medienkultur. In: Bolz, Norbert/Kittler, Friedrich/Tholen Georg Christoph (Hg.): Computer als Medium, a.a.O., S. 270, S. 282). Der Japaner Yamazaki sagt zu den otaku: „Sie behandeln Menschen wie Dinge und Dinge wie Menschen“ (ebd., S. 282). Da sie die Welt ausschließlich über Bildschirme und Druckerzeugnisse wahr-nehmen, ist ihnen die Dingwelt wirklicher als die Menschenwelt. Vgl. dazu weiter den gesamten aufschlußreichen Aufsatz von Volker Grassmuck, S. 267-296.