VON DER EINSCHREIBUNG ZUR NEUSCHREIBUNG 232 DER MUSIK haben - also ohne den ungehindert erfolgenden elektronischen Datenfluß - dient die Verbesserung von Signal-Rausch-Abständen dieser medialen imperativen Botschaft und nicht allein dem vordergründigen ästhetischen Genuß von Musik. Was im Digitalen durch Schnittstellenoptimierung nunmehr erfüllt zu werden vermag, war vordem auch im analogen Bereich in Ansätzen angeschrieben. Auch diese folgte jenem Imperativ, der nicht die Musik ins Zentrum gestellt sah, sondern zuvorderst die Optimierung von Signal-Rausch-Abständen. In der Sichtweise Baudrillards bedeutet dies nun einen beklagenswerten Zustand, wenn er in analo-ger Hi-Fi-Musik „obszöne“ Musik erkennt, welche nur als sinnentleertes Schau-spiel zirkuliert. „Nie mehr werden wir wissen, was Soziales oder Musik waren, be-vor sie sich zur überflüssigen Perfektion von heute steigerten“1, schreibt Jean Baudrillard, die Ereignislosigkeit und Geschichtslosigkeit einer mediatisierten Ge-sellschaft am Beispiel einer nach Perfektion strebenden Musik dokumentierend. Perfektion ist das einer Musik von heute abverlangte Attribut und des weiteren die Möglichkeit zur unaufhörlichen Produktion von Musik, die so schnell vonstatten geht, daß sie, ohne noch Folgen zeitigen zu können, sich nur noch als reiner Effekt ereignet. Der Wert einer solchen Musik bemißt sich nur danach, inwieweit sie ei-ner nachträglichen Manipulation zugänglich ist. Indem das Interesse immer weniger der eigentlichen Musik gilt und einzig in der unaufhörlichen Verbesserung von Klangatomen kulminiert, wird auch der Wert und Charakter einer nicht technisch nachbearbeiteten oder besser: nicht-manipulierten Musik verwischt, da auch sie gleichsam dem Diktum der techni-schen Musik unterliegt. Denn so wird jede Form der traditionellen Musikdarbie-tung vor dem Hintergrund einer allgegenwärtigen künstlich nachbearbeiteten Mu-sik unnatürlich und fremd erscheinen. Selbst da, wo völlig auf elektronische Tech-nik und gar auf Aufzeichnung verzichtet und allein dem handwerklichen Geschick von Musikern Vertrauen und Aufmerksamkeit geschenkt wird, schlummert im Hintergrund des Bewußtseins eines jeden Musikers wie auch eines jeden Zuhörers trotzdem immer noch die Diskretion des Computers, denn die Einstellung dazu, wie etwas zu klingen hat, ist nicht unwesentlich von der Alltags-Hörerfahrung ab-hängig und davon geprägt. Und die schreibt sich digital. So gerät der von der CD her erinnerte diskrete Klang dem eigenen Tun wie beim Rezipieren zum Vorbild und wird daran gemessen. „Die Hi-fi-Einrichtungen [...] schaffen eine synthetische Lautsphäre, in der natürliche Laute zunehmend unnatürlich werden, während ma-schinell hergestellter Ersatz die Betriebssignale liefert, die das moderne Leben lei-ten.“ 2 Und die Musik wird verschwinden, nicht „weil es zu wenig Musik gibt, sie wird verschwinden in der Perfektion ihrer eigenen Materialität, in ihrem Dolby- Effekt. Es gibt keine Urteilskraft und kein ästhetisches Vergnügen mehr, allein die Ekstase des Musikalischen.“3 Davon spricht auch Helga de la Motte, wenn sie schreibt, daß die neuen Technologien, indem sie „das absolute Erlebnis von Sound“ bieten, die eigentliche Musik schließlich bedeutungslos machen, da das 1 Baudrillard, Jean. Das Jahr 2000 findet nicht statt, a.a.O., S. 18 2 Schafer, R. Murray: Klang und Krach, a.a.O., S. 123 3 Baudrillard, Jean: Das Jahr 2000 findet nicht statt, a.a.O., S. 16