VERKNÜPFTE ALLGEGENWART 237 mentenklanges). Der eine wie der andere Klang sind „Originale“. Das Spiel mit Originalen auf dem schwarz/weißen Instrumententastenfeld er-schließt eine neue Erfahrungswelt, die vordem so nicht möglich war, da durch je-nes Spiel auf der Tastatur über eine reine Produktion von immer neuen Originalen zugleich auch ein mit sich selbst identisches Original wieder der Klangwelt zuge-führt werden kann. Beim Anschlagen immer derselben Taste wird etwas erklingen, was vordem schon einmal gewesen und durch das Neuanschlagen neu entworfen ist, ohne dabei Zeugnis von etwas Vergangenem abzulegen. Oder: Indem einer je-den Taste des Keyboards der gleiche Klang zugeordnet wird, wird unter Einsatz der zehn Finger zweier Menschenhände jener originale Klang verzehnfacht, was ganz fraglos den Erhalt von zehn Originalen bedingt, ist doch zwischen den einzel-nen ausgelösten Ereignissen keine Differenz gegeben.1 Herausgelöst aus dem Zusammenhang seiner Entstehung, kann das originale Klangereignis immer und immer wieder produziert werden und - was wesentlich ist - zu jeder Zeit. Zugleich ist das Originale in der digitalen Auferstehung ein je gegenwärtiges, vergangenheitsloses, folglich zeitloses Original. Die Duplizierung des Originals in der Digitalität ist gleichsam die Bedingung der Möglichkeit zur Aufhebung der Zeitlichkeit. Ohne eine Möglichkeit zur definitiven Lokalisation eines Ereignisses sind zeitliche Abfolgen von Ereignissen nicht mehr schlüssig zu rekonstruieren. Die für ein Empfinden eines Zeitflusses notwendige Voraussetzung beschreibt Thrasybulos Georgiades folgendermaßen: „Die Zeit bekundet sich als das Vorher und Nachher. Aber weder das Vorher noch das Nachher sind je wirk-lich da; sie sind nie gegenwärtig. Wirklichkeit kommt nur dem je Gegenwart sig-nalisierenden Jetzt, nur dem Augenblick zu. [...] Das einzig Gegenwärtige, sich als präsent Meldende, ist das je eine Jetzt, der Augenblick, von dem aus das Vorher war und das Nachher sein wird.“2 Mit einem Male zeigt sich, daß das einzig Ge-genwärtige in der Zeit dupliziert werden kann. Das zum Vorher gewordene Klang-ereignis kann durch Samplingtechnik zum virtuellen Nachher konvertieren. Wohl ist das Jetzt „zwar stets, als der gegenwärtige Augenblick, dasselbe (to auto); aber es ist doch auch, als das je gegenwärtige, nicht dasselbe (ou to auto), son-dern stets ein anderes (eteron)“3, doch dieses andere, je Gegenwärtige kann mit jedem anderen je Gegenwärtigen als das nicht dasselbe, mit diesen unterschiedslos identisch sein. Das je Gegenwärtige, im Sinne eines unterschiedslos Identischen ist möglich geworden. Reduziert auf den Sachverhalt der Klangproduktion, stellt da-mit das eine wie das andere produzierte Klangereignis ein je gegenwärtiges Jetzt dar, die einander nicht nur ähnlich, sondern identisch sind. Durch die Möglichkeit der Vervielfachung „je gegenwärtiger Jetzte“ sind wir im Begriff, in ein Zeitalter der Zeitlosigkeit einzutauchen, wenn das Vorher, das Nachher wie das Gegenwärtige nunmehr durch Identität gekennzeichnet sind. Zum 1 Einem „Sampler“ genannten Keyboard ist es dabei gleichgültig, welche Tastaturzone dieses zum Beispiel genommene Sample auszulösen vorgesehen ist, so daß auf jeder einzelnen Taste dasselbe Sample spielbereit vorliegen kann. 2 Georgiades, Thrasybulos: Nennen und Erklingen. Göttingen 1985, S. 31 3 Ebd., S. 32