VON DER EINSCHREIBUNG ZUR NEUSCHREIBUNG 240 DER MUSIK chen Basis gründet, sind aus virtuellen Klangkörpern realisierte computergenerier-te Klänge nicht der materiebedingten Beschränkung anderer Simulationsentwürfe unterworfen, deren Simulationscharakter aufgrund der fehlenden Konsistenz letzt-endlich immer offenbar bleibt. Weil Klänge und Töne ohnehin keine Materialität aufweisen, lassen sich diese um so besser simulieren und verwirklichen. Sie basie-ren ja lediglich auf der Variablen der Zeit, aber nicht auf der des Raumes (= der Materie). Materiebedingte Grenzen entfallen also bei der Generierung von Klän-gen. Was anderen Disziplinen verwehrt bleibt - die perfekte Simulation -, ist der Musik prinzipiell möglich: Ton und Klang können für Menschenohren ununter-scheidbar perfekt simuliert und identisch (re)-produziert werden, sofern der klang-generierende Algorithmus nur sorgfältig genug ausformuliert ist. Dergestalt nimmt die Musik auch Ausnahmestellung wie Vorbildrolle für ein Zeitalter ein, was von beliebig zu strukturierenden, prinzipiell anfangs- wie endlosen Computerentwürfen bestimmt sein wird. Wo Simulationswelten - Stichwort: Cyberspace - allenthalben angekündigt sind, in denen Menschen sich in Bälde einzurichten beginnen, dabei allerdings - eine Kuriosität am Rande - bislang nur in der Vorstellungswelt von schreibenden Träumern eine an die reale Welt gemahnende Wirklichkeitstreue er-reichen - bietet die Musik einen ersten Einblick in eine Welt der Simulation, wel-che von der vertrauten Welt nicht zu unterscheiden ist. Und das heißt dann eben auch, andere Zeitvorstellungen zu entwickeln, welche an der von Couchot be-schriebenen hybriden Zeit ausgerichtet sind. Die Konstituierung einer hybriden Zeit schlägt folglich zugleich zurück auf das lineare Zeitmodell. Wenn die Erkenntnis um die Zeitlosigkeit digitaler, vermeint-lich andere Instrumentenkörper bezeugende Klänge bewußt wird, ist im Umkehr-schluß durch die Ununterscheidbarkeit von digitalem und analogem Klang potenti-ell auch ein jedes analoges Klangereignis ein immer gegenwärtiges, also zeitlos. Denn nichts im Klang deutet ja definitiv auf dessen eigentliche Existenz hin, ist ei-ner jeden Lokalisierung eines Instrumentenkörpers durch eine denkbare bewirkte Entleerung von Syntheseinstrumentenkörpern im Klang die Möglichkeit zum Irr-tum gleich mitgesetzt. Da zugleich alles Analoge, was tönt, grundsätzlich über-führbar ist in das zeitlose Universum der Digitalität, ist potentiell auch die Gegen-wärtigkeit aller Klangphänomene angegeben. Die mediale Synthesezeit nimmt Ein-fluß auf das Zeitempfinden von Subjekten, und, wo nunmehr alles prinzipiell ge-genwärtig ist, ist ein Empfinden einer ‘breiter’ werdenden Gegenwart, in der Ver-gangenheit, Zukunft und Gegenwart zur Allgegenwart verschmelzen, die Folge. Alexander Kluge beschreibt dies denn auch folgerichtig als „Ausdehnung der Ge-genwart auf Kosten der übrigen Zeit“.1 Durch eine jede Digitalisierung erfährt das ehedem Analoge eine absolute Annäherung an das Gegenwärtige. Es ist ein Her-auslösen des Analogen aus dem Traditionszusammenhang und eine Nähe gegeben, die einen Abstand nicht mehr möglich macht. Alles verdichtet sich im Gegenwär-tigen. In der Digitalität existiert nunmehr nur noch die absolute Gegenwart, eben die Allgegenwart. Die lineare Abfolge von Klangereignissen - ihre Verortung im Kontext - ist 1 Kluge, Alexander, zitiert nach: Vief, Bernhard: Vom Bit zum Bild, a.a.O., S. 273