VERKNÜPFTE ALLGEGENWART 241 durch die unaufhörliche Produktion je gegenwärtiger wie identischer Originale problematisch geworden und mithin aufgehoben. Aufgehoben ist aber gleicherma-ßen die Linearität im Klang selbst. Der Klang selbst ist durch seine Zerlegung in diskrete Zeichen diskontinuierlich zu strukturieren. Diskrete Aufzeichnungsmedien sind schließlich nicht einzig zur Duplikation von Identität beweisenden Signalen ausgelegt. Vielmehr bieten diskrete Archive wie Hard-Disk-Recording-Systeme (Festplattenaufzeichnungssysteme) oder Sampler sehr differenzierte Eingriffe in den Klang und dessen Verlauf an, so daß einzelne Klang- oder auch komplette Musikereignisse stark voneinander differieren können.1 Mannigfaltige Manipulati-onsmöglichkeiten lassen zeitlich determinierte lineare Klangfolgen in diskontinu-ierliche zerlegen. Allein das Rückwärtsspielen von Samples oder Sampleausschnit- 1 Ähnlich wie es bei Mehrspurtonbandmaschinen der Fall ist, können Signale über eine bestimmte Anzahl von Aufzeichnungsspuren verteilt und nachbearbeitet werden. Wel-che Optionen dafür zur Verfügung stehen, sollen kurz angedeutet werden: Mit der Möglichkeit der digitalen Mehrspuraufnahme kann das Signal bei Samplern (Loop- Bildung, Rückwärtsspielen von Samples etc.) - wie Harddiskrecordingsystemen gleichermaßen - in mehrere Richtungen hin in seinem zeitlich linearen Verlauf verän-dert werden. So wie bei Samplern ein bestimmter Anfangs- und Endpunkt den jeweili-gen Schleifendurchgang markieren, können bei Festplattenaufzeichnungen Markierun-gen die Abfolge eines Auslesevorganges maßgeblich beeinflussen. Ein immer wieder-kehrender Refrain braucht beispielsweise nur einmal aufgezeichnet zu werden und beim Auslesen in einer dafür vorgesehenen Arrangementliste zeitlich organisiert zu werden. Sample-Start und Endmarkierungen bedeuten auch hier einem entsprechenden Algorithmus den Anfang und das Ende eines Refrains. Das gleiche gilt für die übrigen Songteile. In einer der Arrangementliste angegebenen Reihenfolge werden die Musik-teile ausgegeben. Die Reihenfolge, in der die einzelnen Musikbruchstücke zunächst aufgezeichnet werden, bleibt also für das akustische Endergebnis völlig gleichgültig; vielmehr kann das als Block markierte simultan Erklingende zeitlich beliebig organi-siert werden, und so lassen sich immer wieder neue Mischungen erstellen. Gleichwohl ist auch das simultan Erklingende völlig dem Gestaltungswillen von Anwendern über-stellt, und es vermag nach Maßgabe des Gestalters gleichsam zerlegt, in der Zeit trans-portiert und neu sortiert, kopiert, gelöscht, in seinem Klangcharakter verändert etc. zu werden. Veränderungen lassen sich dabei bis in den Millisekundenbereich vollziehen. Eine Timingfehler bedingende Unkorrektheit beim Einspielvorgang beispielsweise ist problemlos zu korrigieren, indem das Signal zeitlich zu anderen Signalen synchroni-siert wird. Nicht nur rhythmisch bedingte Zeitkorrekturen, auch Zeitexpandierungen und -komprimierungen sind gewährleistet, gleiches gilt für Tonhöhen- respektive Klangveränderungen. Ein fehlerhaft eingespielter Ton muß nicht erneut eingespielt werden, sondern die entsprechenden Daten werden geändert, bis daß das Ergebnis dem Vorgestellten entspricht. Ebenfalls stellt das bei der Aufnahme gewählte Tempo keine feststehende Größe mehr dar. Auch dieses unterliegt der Kontrolle des Arrangeurs und kann nachträglich ohne Tonhöhenveränderung vermindert oder erhöht werden. Das Beschriebene macht deutlich, daß sowohl die zusammen erklingenden Musikteile als auch die einzelnen Musikteile selbst in ihrer zeitlichen Organisation wie auch als Klangerscheinung relativ umfassend der Kontrolle überstellt sind, welche über das mit Tonbandschnitt mögliche Maß weit hinausgeht.