VERKNÜPFTE ALLGEGENWART 247 Dieses das de-lineare Arbeiten fördende Gestaltungsprinzip ist infolge seiner graphischen Gestaltung hier erstmals für den musikalischen Bereich zum eigentli-chen Gestaltungsprinzip erhoben worden, und in seiner konsequenten Umsetzung trägt es diesen Strömungen Rechnung.1 Wenngleich an Sampler/Festplattenaufzeichnungsgeräte andere Ansprüche als an Sequencerprogramme gestellt sind, gemeinsam ist ihnen mit diesen wie mit je-dem anderen digitalen System auch, daß alles reine Konvention und Verabredung bleibt, womit das prinzipielle Anders-Sein des Materials verbürgt ist. Grundsätzlich beschreibt das generelle Arbeiten am Computer keinen mehr auf Sukzession und Linearität abzielenden Vorgang, sondern einen collagenhaften Umgang mit den jeweiligen zugrundegelegten Ideen. Gleichwohl bleibt ein solches collagenhaftes Arbeiten nicht ausschließlich den neuen Computer-Technologien vorbehalten. Schon Benjamin erinnert zum Beispiel schon früh an den Film und in diesem Zusammenhang an die Montage von zeitlich wie räumlich auseinanderlie-gender, getrennt gedrehter Filmszenen zu kompletten Filmsequenzen.2 In der absoluten Musik haben - nach Bernd Alois Zimmermann - Montage und Collage mit seinem bereits in den 40er Jahren komponierten Ballett „Alagoana“ Einzug gehalten.3 Und auch die analoge Mehrspuraufzeichnung bot ja schon reich-haltige Möglichkeiten zum collagenhaften Umgang mit dem Material und verschob darüber hinaus die endgültige Objektivierung von musikalischen Ideen bis unmit-telbar vor den Zeitpunkt der Fixierung auf das Masterband. Doch befreit von jeglicher Materialität, ermöglicht das computerorientierte Auf-zeichnen und Arrangieren einen immerwährenden Zugriff auf die immateriell blei-benden Objektivierungen, das in dieser Allumfassenheit zuvor nicht gegeben war, da zuvor materialitätsgebundene Grenzen gesetzt waren. Die letzte noch mögliche Bandüberspielung oder der letzte noch mögliche Bandschnitt entfällt beim Arbeit mit Computersystemen. Es gibt diesen letzten Schnitt einfach nicht. Damit ein je-des Operieren in der immateriellen Welt auch wirklich reversibel bleibt, muß Edi-tieren nur noch mit dem Präfix „nondestructive“ ausgestattet sein, und Kompositi-onen schreiben sich fortan als Endlos- oder Prozeß-Kompositionen in die Musikda-tenwelt ein.4 1 Vgl. die Bedienungsoberflächen der Programme STARTRACK (Geerdes), LIVE (Soft- Arts) oder auch das NOTATOR SL-Nachfolgeprogramm NOTATOR LOGIC (Emagic). Ganz gleichgültig, wie die Arbeitsweise der Sequencerprogramme der genannten Fir-men ursprünglich organisiert war, entweder sind die Programme soweit modifiziert, daß sie dem Aufforderungscharakter eines de-linearen Mediums gerecht werden oder - wie in den meisten Fällen geschehen - neue Programme mit einer CUBASE-ähnlichen Oberfläche sind entworfen worden. 2 Vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischer Reproduzier-barkeit, a.a.O., S. 29-31 3 Vgl. Stürzbecher, Ursula: Werkstattgespräche mit Komponisten. Köln 1971, S. 153 4 „Nondestructive“ heißt, daß das Ursprungsdatenmaterial beim Editieren nicht verän-dert wird. Erst bei einem Auslesevorgang wird im Moment der Realisierung Ände-rungswünschen Rechnung getragen, welche in Form von extraarchivierten Daten vor-