Spurensicherung „Mir gefiel der Unterschied zwischen Al-leinsein Nicht-Alleinsein und Nicht-Dran- Denken. Das gab der Frau eine Umge-bung.“ 1 „Wenn man aber sagt: ‘Wie soll ich wis-sen, was er meint, ich sehe ja nur seine Zeichen’, so sage ich: ‘Wie soll er wissen, was er meint, er hat ja auch nur seine Zei-chen.’“ 2 Nicht allein die Möglichkeit der Datenmanipulation ist das Entscheidende - das war schon mit Tonband und Schere zu bewerkstelligen -, sondern darüber hinaus die Leichtigkeit, mit der Veränderungen vorgenommen werden können. Digitale Schnittechnik erlaubt nunmehr die bedingungslose Unabgeschlossenheit eines Werkes, da selbst komplexe Eingriffe vorzunehmen, nicht viel mehr verlangt, als einige schlichte Zifferneingaben am Gerät zu tätigen. Festplattenaufgezeichnete Musikstücke sind damit aber auch einem jeden Ver-such der Spurensicherung entzogen; „gerade die Spurlosigkeit zeichnet ein Medi-um aus, das nur aus einem immateriellen ‘Zwischen’ besteht.“3 Es bleibt für Inte-ressierte einfach nicht nachvollziehbar, wie dieses oder jenes Musikstück (oder - werk) entstanden sein mag, wenn differierende Versionen durch Zahleneingabe überschrieben oder beim Speichern der jeweils aktuellen Version die vorangegan-genen gelöscht werden können, ohne das irgendein materieller Rest noch den Pro-zeß des Entstehens bezeugt. Arbeiten mit Papier und Bleistift bedeutet ein unabläs-siges Korrigieren bis zum letztendlich gültigen Entwurf. Und das handschriftliche Manuskript ist gleich einem Palimpsest, bei dem das Verworfene durch das Neu-geschriebene wohl überschrieben, doch nie endgültig getilgt wird. In der Materiali-tät blieb die Spur des Verworfenen erhalten. Arbeiten auf einer virtuellen Ebene mit immateriellen also körperlosen Zahlenereignissen dagegen bedeutet einerseits ein das prozeßhafte Arbeiten ausweitendes Verfahren, gerade weil ein grenzenlo-ses „Re-writing“ den Irrtum als qualitative Größe nicht mehr sanktioniert, anderer-seits immer ein grundsätzlich gegenwärtiges nicht-historisches Ereignis, da das Er-gebnis kein Vorher mehr aufweist und nur für sich besteht. Quellenforschung wird damit obsolet. Flüchtig hingeworfene Notenskizzen, überarbeitete Partituren und handschriftlich korrigierte Druckausgaben früherer 1 Getrude Stein, zitiert nach: Meyer, Eva: Der Unterschied, der eine Umgebung schafft. In: Ars electronica (Hg.): Im Netz der Systeme. Berlin 1990, S. 110 2 Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen (504). In: Ders.: Tractatus lo-gico philosophicus. Philosophische Untersuchungen. Leipzig 1990, S. 290 3 Kamper, Dietmar: Im Spiegel des Bildschirms. In: Rötzer, Florian/ Rogenhofer, Sara (Hg.): Kunst machen? A.a.O., S. 147