SPURENSICHERUNG 257 richtige Erkenntnis. „Darum kann, vom konstruktivistischen Gesichtspunkt aus, auch nie ein bestimmter gangbarer Weg, eine bestimmte Lösung eines Problems oder eine bestimmte Vorstellung von einem Sachverhalt als die objektiv richtige oder wahre bezeichnet werden.“1 Es ist eine „passende“, weil plausible Unter-scheidung, und daraus folgt ein plausibles und nachvollziehbares Urteil. Je mehr Informationen nun über das zu qualifizierende Werk vorliegen, um so differenzier-ter wird die Paßform auch ausfallen. Und dieses „Mehr an Information“ läßt dann auch eine Musik von Cage ihren Platz im Musikgefüge und eine Paßform finden, welche nicht völlig arbiträr, sondern ihr - auch vom Standpunkt verschiedener Be-obachter aus - angemessen gewählt ist.2 Aus den gemachten Ausführungen ist die Bedeutung dessen, was die Möglich-keit zur zeitlichen Verortung oder auch die Ergebnisse von Spurensuchern von Musik für deren Beurteilung leisten, ohne weiteres zu extrahieren. Von dem ange-sprochenen „Mehr an Information“ - wie zum Beispiel Informationen über den Komponisten, den Entstehungsort und -zeit, das gesellschaftlich bestimmte Umfeld wie auch über Entwicklungen aufzeigende Dokumente etc. - wird die auszuwäh-lende Paßform mitbestimmt und geformt, womit die Differenz, zu der die Sache gesetzt wird, zwar immer noch von der beurteilenden Instanz geschaffen ist, der Rahmen innerhalb dessen die Unterscheidung getroffen werden muß, seine Be-grenzung durch jenes „Mehr“ erfährt. Die kontextuelle Bindung der Musik bot folglich einen Konstruktionsrahmen, innerhalb dessen manche Differenzsetzung 1 Ebd., S. 32 2 Doch bleibt es zugleich immer auch eine individuelle Paßform, denn selbst im Kon-sens mit anderen bezüglich der Paßform, bedeutet Konsens ja nicht absoluter Verste-henskonsens bei den Beteiligten, sondern immer ein aus unterschiedlichen Verste-henskategorien gebildeter Schnittmengenkonsens. Schließlich bedarf es, zum Ausbil-den einer geeigneten Paßform, irgendeines Aktes der Kommunikation mit Hilfe von Sprache, Schriften oder was auch immer. Und auch für das Feld der Kommunikation gilt, „daß die Bedeutung von Wörtern und Texten stets auch von jedem interpretieren-den Subjekt nur aufgrund der eigenen Erfahrenswelt aufgebaut und darum in keiner Weise als ‘objektiv’ hingestellt werden kann“ (von Glasersfeld, Ernst: Fiktion und Re-alität aus der Perspektive des Radikalen Konstruktivismus. In: Rötzer, Florian/Weibel, Peter (Hg.): Strategien des Scheins, a.a.O., S. 169). Allem Gesagten oder sonstwie Mitgeteiltem ist demnach Mehrdeutigkeit inhärent. Und das einzelne Subjekte einem Gesagten das gleiche Verständnis entgegenbringen oder sich über ihr eigenes Verste-hen bis hin zur völligen Übereinstimmung verständigen könnten, ist infolge der nicht gegebenen Möglichkeit eines direkten Zugangs zum anderen nicht leistbar. Das inter-pretierende Subjekt ist im Sinne der Systemtheorie als psychisches, selbstreferentiell operierendes geschlossenes System gedacht, für das ein jedes andere System eine „black box“ ist. Psychische Systeme sind „black boxes“ und bleiben „füreinander un-durchsichtig“ (Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, a.a.O., S. 156). In einem bestimm-ten Umfang schwingt somit einem jeden Versuch, das Eigenverstehen oder eine In-formation mitzuteilen, um verstanden zu werden immer ein partielles oder völliges Mißverstehen mit. Ob etwas im gemeinten Sinne verstanden ist, kann nur anhand von Anschlußkommunikationen geprüft werden (vgl. ebd. S. 196-198).