Copyright-Aufhebungen oder: Vom „Werk-Stück“ zum „Stück-Werk“„‘Das Werk’ im alten Sinn verschwindet, es ist ein überholter Begriff; seinem Wesen nach vielfältig geworden, muß es dies auch seiner Intention nach sein. Das schöpferi-sche Werk ist nicht mehr ein Endergebnis, sondern ein Modell, und die Kreation trennt sich von der Realisation.“1 „Colabüchsen werden zu Spieluhren, Plas-tikverpackungen zu Parkbänken und Schwerter zu Pflugscharen - mit grünem Punkt als werbewirksame Botschaft. ‘Mach was Neues draus’, fordert die junge Generation [...]. ‘Tun wir’, sagt Steinberg und programmiert auch gleich ein Werk-zeug zur hemmungslosen Aufarbeitung wertvoller Audioressourcen, die zum Weg-schmeissen eigentlich schon immer viel zu schade waren.“2 Der Umgang mit Samplern und Festplattenaufzeichnungssystemen bedingt nicht nur aufnahmetechnische Erleichterungen, sondern, wie die vorangegangenen Aus-führungen gezeigt haben, eine grundsätzlich neue Arbeits- und Denkweise, ein grundsätzlich neues Werkverständnis wiewohl eine neue Klangästhetik. Diskrete Aufzeichnungsmedien digitalisieren Klänge. Das heißt, das einem sol-chen Musiksystem zugeführten Musiksignal wird in den computergerechten Ver-arbeitungscode übersetzt. ‘1’ und ‘0’ sind die beiden einzigen Zustände, die der Computer kennt und mit denen er operiert. Wo nur ‘1’ und ‘0’ währen, herrschen zum einen eindeutige, eben diskrete Verhältnisse, und zum anderen ist es, bedingt durch die Fähigkeit der diskreten Maschine zum Lesen, Schreiben und Löschen, problemlos möglich, das jeweilige Symbol in sein Gegenteil zu verkehren, also selbsterwählte Klarheiten zu schaffen. „Mit Zahlen ist nichts unmöglich. Modula-tion, Transformation, Synchronisation; Verzögerung, Speicherung, Umtastung; Scrambling, Scanning, Mapping“.3 Ein digitalisiertes Musiksignal ist demnach in jede Richtung hin verfügbar. Deshalb setzen sich auch immer mehr neue, dieser Erkenntnis angemessene Musikproduktionsformen durch, welche das Verfügbar- Machen der Daten explizit zum Ziel haben. Musik wird oft genug schon bei der Produktion nicht mehr als auf einem Datenträger endgelagertes Material zur reinen Konsumption angesehen, sondern als Basis- und Zugriffsmaterial für zukünftige 1 Moles, Abraham A.. Kunst und Computer, a.a.O., S. 100 2 Soltau, Michael: Ich war eine Dose. Test zum Steinberg ReCycle Programm. In: Keys 11/94, S. 20 3 Kittler, Friedrich: Grammophon, Film, Typewriter, a.a.O., S. 8