VOM „WERK-STÜCK“ ZUM „STÜCK-WERK“ 273 Produzenten es mittlerweile als Auszeichnung, wenn sie Klänge oder ganze Passa-gen ihrer Musik in anderen Musikstücken wiedererkennen. Der Frankfurter Tech-no- Spezialist Jam El Mar meint zu diesem Thema: „Wenn ich höre, daß jemand etwas von meinen Platten gesampelt hat, fühle ich mich eher geschmeichelt, als daß ich mit dem Rechtsanwalt drohe.“1 Gerade in einer Musikrichtung wie Techno, in der Sampler zum zentralen Musikinstrument avanciert sind, offenbart sich das Wesen der Medialität Computer, welche Sampler ja sind, am präzisesten. „Techno lebt vom Sampeln und Wiederverwerten. Ganz anders als in anderen Sparten gilt es hier sogar als Ehre, von anderen gesampelt zu werden und seinen Mega-Bass oder einen speziellen Groove auf anderen Produktionen wiederzufinden. Der eine oder andere ist auf diese Weise schneller zu Berühmtheit gelangt als durch seine eigenen Titel. [...]. Als amtliche Quelle für gelungene Grooves haben sich allge-mein die legendären LPs und CDs von Simon Harris erwiesen, die über Plattens-hops zu beziehen sind. Speziell für den Bereich Vokalsamples und Geräusche kann ich besonders die Werke von Ed Stratton empfehlen, die immer wieder gern ge-nommen werden.“2 Indem ein geistiges Elaborat in geronnener Schallplatten- oder CD-Form vor-liegt, ist es der Samplingmusikgemeinde überantwortet. Gesampelt zu werden, heißt dann nichts anderes, als als Künstler akzeptiert und anerkannt zu sein. Der gleiche unbekümmerte Umgang wie den eigenen Musikerzeugnissen wird schließ-lich jeder Musik gegenüber an den Tag gelegt. Es ist offensichtlich ein neues Wer-tegefüge im Entstehen begriffen, dessen Aufscheinen in enger Beziehung zu den 1 Jam El Mar im Interview mit Valdo Ruyter. In: Keys 12/93, S. 87 Diese Bewußtseinsänderung den eigenen Erzeugnissen gegenüber, ist z.T. auch bei Radiokünstlern zu beobachten, wenn sie ihre Werke mit der Aufschrift „Kopieren und Senden erwünscht“ oder diese mit dem Vermerk „No copyright“ kennzeichnen (vgl. Grundmann, Heidi: Interplay. Radiokunst als Kunst im Datenraum. In: Neue Zeit-schrift für Musik 1/94, S. 17). Ausgedrückt ist hier eine Tendenz zur Auflösung des Copyrights, wobei allerdings jenes neu aufscheinende „No-Copyright“-Denken unter samplingversierten und anderen Künstlern noch nicht als durchgängig konsensfähig akzeptiert ist. Tantiemenbedingte Anrufungen der Gerichte sind sehr wohl vorzufin-den, was mitunter zu der kuriosen Situation führt, daß Samplingkünstler Kollegen ver-klagen, nur um selbst wieder von anderen Spezialisten in Sachen Sampling und Ver-wertung verklagt zu werden. „Die deutsche Hip-Hop-Gruppe Snap ließ 1989 mehrere Plagiate ihres Disco-Hits ‘The Power’ stoppen und wurde ihrerseits vom schwarzen Rapper Chill Rob G verklagt“ (Noll, Justus: Multimedia, Midi und Musik. Ffm 1994, S. 200). Ein anderes Beispiel, das jenen neuen Umgang mit Musik dokumentiert, ist mit dem Jazz Label ‘Blue Note’ gegeben, das 1991 samplerhantierenden Musikern seine Archive öffnete. „Mel Simpson produzierte und mixte, Geoff Wilkinson sampel-te, scratchte und programmierte zusammen mit Live-Musikern. Grundlage war u.a. die Musik von Jazzgrößen wie Horace Silver, Art Blakey und Herbie Hancock. Als US 3 erzielte die Gruppe mit ‘Cantaloop und ‘Tukka Yoot’s Riddim’ auf der CD ‘Hand on the Torch’ Hit-Erfolge“ (ebd., S. 200). Das letztgenannte Beispiel schweigt sich aller-dings über die Tantiemenzuschreibung aus. 2 Gorges, Peter: Sampling-Praxis (11). In: Keyboards 7/92, S. 38