VON DER EINSCHREIBUNG ZUR NEUSCHREIBUNG 280 DER MUSIK „Handle stets so, daß weitere Möglichkeiten entstehen“,1 formuliert Heinz von Fo-erster seinen ethischen Imperativ, und so ist gerade in dem, was sich selbst in dis-kreten Archiven auf Dauer einschreibt, lediglich dessen Wertlosigkeit angezeigt, weil kein kommunikativer Austausch darüber mehr statthat. Das heißt dann weiter: In dem Tun selbst liegt der eigentliche Wert, aber nicht mehr in dem Werk. Der Wert solcher Interaktionswerke zeigt sich im Grunde nur noch darin, daß keine Zeit mehr bleibt, in ihnen überhaupt noch einen Wert zu er-blicken und etwas Wertvolles daraus zu extrahieren und damit gleichsam zu kano-nisieren. Der Werkgedanke ist der Neudefinition anheimgegeben, und das heißt: Dem Werk ist die Flüchtigkeit zu eigen. Die Idee des singulären Werk - dokumen-tiert durch einen genau fixierten Anfang und ein definitives Ende - ist aufgehoben im Netzwerk. Das Netzwerk selbst in seiner Eigenschaft als kommunikationser-möglichende und neue ereignisstiftende Instanz wird zum Werk. Das Netzwerk wird zum Werk an sich. Diskrete Archive und Medien haben - ihrer immanenten sich ungefragt mittei-lenden ‘Botschaft’ gemäß - den Übergang vom statischen zum prozeßhaften Werk wie den vom passiven Rezipienten zum aktiv Anteilnehmenden eingeleitet, ohne daß ihre Konstrukteure diese Veränderungen im Denken und Schaffen beim Ent-werfen und Konstruieren von diskret operierenden Maschinen auch nur in Ansät-zen hätten mitbedenken können. So ist auch der CD-Player in seinen Anfängen als reines Abspielmedium gedacht, konzipiert und verwirklicht worden und bei den implementierten Möglichkeiten orientiert sich dieses Abspielmedium an seinem Vorgänger, dem Schallplattenspieler. Doch auch ein reines, Schreibfähigkeit ver-weigerndes Lese-Medium wie der CD-Player geht schon recht bald über die Ur-sprungsfunktion des in ihm aufgehobenen Schallplattenspielers hinaus. Mit Pro-gram-, Repeat-, Shuffle- sowie anderen Optionen sind schon Eigengestaltungsfunk-tionen implementiert, die aufgezeichnete Musikdatenströme nicht mehr nach Rei-henfolge abspielen, sondern nach Rezipientenvorlieben ordnen lassen. Von hier ist es dann nur noch ein Schritt zu Medien, die auch den Zugriff auf die 0/1-Daten gewähren. Es braucht folglich Maschinen und Datenträger, welche den medialen Möglichkeiten von Beginn an Rechnung tragen und die Wandelbarkeit des Archi-vierten in der mitgegebenen Option zum freien Gestalten widerspiegeln. Mit ande-ren Worten: Nicht erst der Umweg des Samplings darf ein freies Gestalten möglich machen, sondern der Zugriff auf die Daten muß von vornherein gewährleistet sein: Es sind also Konsumentenmaschinen vonnöten, welche in Datenträger eingelager-tes Musikmaterial nach Vorlieben zu verändern erlauben. Glenn Gould träumte schon in den 60er Jahren vor, was unter den Bedingungen von instantanem Datenfluß und Mikroelektronik nunmehr medientechnisch reali-siert werden kann, unter dem Stichwort MultiMedia allmählich zur Serienproduk-tion reift und damit auch Konsumentenkreise erreicht. Glenn Gould dachte an Konsumentenmaschinen, die auf Tonbändern abgelegte Musik einfach zerlegen und wieder montieren ließen. „Im Mittelpunkt der technologischen Debatte also 1 Foerster, Heinz von: Das Konstruieren einer Wirklichkeit. In: Watzlawick, Paul (Hg.): Die erfundene Wirklichkeit, a.a.O., S. 60