VOM „WERK-STÜCK“ ZUM „STÜCK-WERK“ 281 steht eine neue Art von Hörer - ein Hörer, der mehr an der musikalischen Erfah-rung teilhat.“1 Dieser Hörer im Sinne Goulds „verhält sich nicht länger passiv ana-lytisch“ 2, sondern mit Musikhören verbindet sich fortan ein aktiver interpretativer Akt, der der Persönlichkeit des Musikrezipienten Rechnung trägt, indem dieser gemäß persönlicher Vorlieben, Musiksachverhalte neu zu strukturieren vermag. „Es wäre [...] relativ einfach, dem Hörer Optionen beim Schnitt des Tonbandes einzuräumen, die er nach eigenem Ermessen ausüben könnte. [...]. Es gibt in der Tat nichts, daß einen Kenner, der sich seiner Sache ganz verschrieben hat, daran hindern kann, als sein eigener Cutter zu agieren und mit diesen Kunstgriffen jene interpretativen Vorlieben umzusetzen, die ihm erlauben werden, seine eigene Ide-alaufführung zu schaffen.“3 In diesen Prognosen spiegelt sich nicht mehr und nicht weniger als MultiMedia-Realität. Das Tonband wird durch die CD-ROM und der reale Tonband-Schnitt durch den virtuellen Schnitt ersetzt, und schon sind einige (wenige) Möglichkeiten von MultiMedia-Anwendungen präzise genannt. So ist die Musik-CD „US“ von Peter Gabriel zugleich auch als mit dem dazugehörigen Vi-deoClip kombinierte interaktive CD-ROM erhältlich, welche neben der Möglich-keit zur interaktiven Eigengestaltung des VideoClips, auch die Möglichkeit zur Neuabmischung mancher Musiktitel bereithält. „Beim Abspielen der 7-Minuten- Version von ‘Digging in the dirt’ stehen vier Spuren - Bass, Gitarre, Drums, Ge-sang - zum Mixen bereit, Regler lassen sich per Maus schieben, Knöpfe ein- und ausschalten.“4 Andere Musikerkollegen Peter Gabriels wie Todd Rundgren mit seiner CD-I „New World Order“ stecken die Grenzen schon weiter und bieten weit darüber hinausgehende Mischoptionen: „Man kann die vorhandene Musik im Nachhinein selbst abmischen, kann Spuren verändern, Tonlagen wechseln und Ge-schwindigkeiten regeln. Die so völlig neue Art des ‘Rezipierens’ gebe den Zuhö-rern, so Rundgren, mehr Freiheiten und mache die Musiker zu ‘interaktiven Künst-lern’.“ 5 Bis schließlich Technologie ein umfangreiches Schwingungsarchiv dem freien Gestaltungswillen von Konsumenten überantwortet, bieten andere Multi- Mediaprodukte wie MIDI-CDs weitreichende Variationsmöglichkeiten. Neben den eigentlichen Audio-Daten ist auf diesen CDs die archivierte Musik zusätzlich in Form von speicherplatzsparenden Steuerbefehlen, sogenannten MIDI-Daten abge-legt. Auf diese MIDI-Daten hat der Anwender Zugriff, das heißt also, der Hörer kann diese Zahlenereignisse nach Belieben verändern und über angeschlossene Tonerzeuger zu Klang wandeln lassen. Ursprüngliche bei einer Aufzeichnung von Musik gestaltete Dynamikverläufe können dabei ebenso den eigenen Bedürfnissen 1 Gould, Glenn: Vom Konzertsaal zum Tonstudio, a.a.O., S. 151 2 Ebd., S. 151 3 Ebd., S. 152/153 4 Steinhau, Henry: Magischer Medien-Mix. In: Keys 2/94, S. 57 5 Ebd., S. 60