VON DER EINSCHREIBUNG ZUR NEUSCHREIBUNG 282 DER MUSIK entsprechend angepaßt werden wie auch komplette Instrumentalgruppen bei-spielsweise ausgetauscht oder stummgeschaltet werden können.1 Solche MultiMedia Projekte stehen erst noch am Beginn einer Entwicklung, doch wird in nicht allzu ferner Zukunft ein solches Gestalten so weitreichend ver-fügt werden können, daß der Erwerb derselben Musik - oder besser: derselben Da-tenströme - für zwei Menschen zwei völlig unterschiedliche Hörerlebnisse bedin-gen kann, eine Kommunikation darüber ohne ein gemeinsames Hören des selbst Verfügten als Folge dieser möglich gewordenen musikalischen Variationsbreite zum einen problembehaftet sein kann, aber zum anderen auch einen fruchtbaren Kommunikationsprozeß in Gang setzen kann. Von Interesse wird dann aber gleichsam sein ein Austausch über die jeweils in Hardware implementierten Soft-ware- Möglichkeiten zur (Re)-Kombination, die aus geronnenen Datenströme höchstkontingente Musikereignisse machen. Hermeneutische Betrachtungen haben in der diskreten Welt der Archive, in der das Geschaffene stetigen Wandlungen unterworfen ist und Komponisten und Auto-ren nur noch im Plural, in der Anonymität angeschrieben sind, keinen Platz mehr. Ein (Musik-)Werk zudem, in dem eine vermutete Ursprungsinstanz nach mehreren Um-, Neugestaltungen oder Samplingverfremdungen etc. womöglich nicht mehr die eigene Handschrift erkennt, nach irgendwelchen dem Werk innewohnenden Bedeutungen zu befragen hieße, dem Phantasieren freien Lauf zu lassen. In einer Gesellschaft der Diskretheit ist die Dauer und das traditionsbehaftete dauerhaft Währende aufgelöst im immer wieder anders zu verfügenden Augenblick. Auch das über Jahrhunderte Überlieferte lebt nur noch im Augenblick, ist also in das grenzenlos prozedierende Permutationsspiel eingegliedert und dem Kombinations-geschick von computerkompetenten Datenmanipulateuren überantwortet. Über-führt in diskrete Archive, gelten auch für überkommene (Musik-)Werke die glei-chen Bedingungen wie für die neugeschaffenen, zur ständigen Veränderung frei-gegebenen Werke. In ihnen noch einen tieferen Sinn, eine Bedeutung zu suchen, welchen es zu entziffern gelte, ist schlicht sinnlos. Vielmehr sind sie als das zu be-trachten, was sie einzig sind: als Daten. Daten aber sind zunächst einmal schlicht wertneutral. Sinn erhalten sie erst durch Zuweisung. „Daten sind Daten, keine In-formationen. Sie transportieren Information, die ihnen aber erst zuschießt, wenn sie interpretiert werden.“2 Mit anderen Worten: Nicht die Werke für sich haben einen Wert oder einen immanenten, zu ergründenden Sinn, sondern der Sinn wird ihnen von einer bedeutungsgenerierenden Instanz von außen zugewiesen. Als reine Da-tenpakete, die sie nunmehr sind, lassen sie nun sich ebenfalls in das Permutations-spiel integrieren und sind endlos wandelbar. Diskrete Netze und Archive machen Fragen nach dem Ursprung, nach Schöpfern und ähnlichen Singularitäten und den damit verbundenen Konsequenzen in jeder Hinsicht also schlichtweg obsolet. Und dem tragen Techno- und andere Künstler sowie Aktivkonsumenten Rech- 1 Vgl.: Wie man einen Traum verkauft. Fachleute diskutieren die kommerziellen Chan-cen von MultiMedia. In: Keys 4/92, S. 102-107 2 Nake, Frieder: Künstliche Kunst. In: Ästhetik des Immateriellen. Teil 2. Kunstforum International. Januar/Februar 1989. Bd. 98, S. 86