NÄHERUNGEN 287 tig als „Rasenden Stillstand“1, der für die heutige Kommunikationssituation so be-stimmend wie unerläßlich ist und Ergebnis eben jener „Revolution der Übertra-gungsmedien“ ist, „die alle Entfernungen tilgen und jede physische Fortbewegung überflüssig machen wird“.2 Mit der absoluten Seßhaftigkeit wird dabei eine Ent-wicklung abgeschlossen, die im Grunde genommen schon mit der Herausbildung der ersten agrarischen Ökonomien ihren Anfang genommen hat, wie André Leroi- Gourhan herausgearbeitet hat. Seitdem geht die Evolution „in Richtung auf eine Überseßhaftigkeit“.3 Die Stillstandsbestrebungen des Menschen gründen auf der weitgehenden Unbeweglichkeit von Materialitäten. Daran hat sich bis heute nichts geändert; gleichgültig mit welchen Geschwindigkeiten Materialitäten (wie Men-schen) auch durch den Raum geschleudert werden, Körperlichkeit hemmt den Ge-schwindigkeitsfluß und verhindert maximale Beschleunigung und damit maximale Mobilität. Deshalb hat der „Rasende Stillstand“ seine Ursache darin, daß von trä-gen Materialitäten auf lichtgeschwinde Energie - auf reinen Informationsfluß - umgestellt wurde. Maximale Verfügbarkeit von Informationen ist also das Ergeb-nis der Verlagerung des allgemeinen Interesses weg von materiellen hin zu imma-teriellen Gütern. In der Körperlosigkeit liegt also die Bedingung für eine Trans-formation ins rein Geistige und die Bedingung für die Möglichkeit einer ubiquitä-ren Präsenz. Die physische Körperlichkeit muß dabei notwendigerweise dem Still-stand überstellt werden. Sie macht eine Externalisierung der Sinne sowie eine da-mit einhergehende Universalisierung des Selbst erst möglich.4 Datenmanipulieren-de Musiker geben potentiell ihre physische Präsenz zugunsten einer ubiquitären Präsenz auf und sind damit als universale Spielpartner ansprechbar und verfügbar. Individuelle Fertigkeiten und regional gefärbte Eigenarten im Spiel bleiben dabei wohl noch erhalten, doch haben sie mit den von auswärts herangetragenen Fertig-keiten und Eigenarten ihre Verknüpfbarkeit zu beweisen. Das heißt aber, daß mit einem globalen Spiel unvereinbare kulturelle Besonderheiten nicht nur nicht einer globalen Verfügbarkeit entgegen- und widerstehen, sondern innerkulturell gleich-sam der Veränderung unterliegen bzw. ganz herausfallen. Denn im Zeitalter der Medienschaltungen existiert nur, was in Medien auch ständig präsent ist. Nichtprä-senz ist daher gleichbedeutend mit Nichtexistenz. Ubiquitäre Anteilnahme am je-weiligen musikalischen Geschehen läßt aber zugleich das im globalen Netzwerk zirkulierende Kulturgut nicht unverändert. Denn ihre Verknüpfbarkeit beweisen kulturelle Eigenarten im globalen Spiel durch das Angleichen an ein kulturelle Dif-ferenzen ausgleichendes Welt-Spielniveau. Kulturell gewachsene, regionale Ein- 1 So ein Buchtitel von Paul Virilio: Rasender Stillstand, a.a.O. 2 Virilio, Paul: Revolutionen der Geschwindigkeit, a.a.O., S. 68 3 Leroi-Gourhan, André: Hand und Wort, a.a.O., S. 228 4 Mobile Kommunikationsmedien - wie beispielsweise Funktelephone - widersprechen diesen Stillstandsbestrebungen im übrigen dabei nicht. So ist auch schon der Autofah-rer - der zur Durchschreitung des Raumes angeschnallt, also stillgestellt ist - dazu an-gehalten, zum Zwecke der Kommunikation mit dem abwesend Anwesenden, sein Ge-fährt zu parken, da der Fernanschluß den Nahanschluß mit der Umwelt unterbricht und zur potentiellen Ferne macht.