NÄHERUNGEN 289 aktionsfähigen Telekommunikationsmedien, werden eine jede regional ge-wachsene Kultur als globale definieren und der Weltdorf-Gemeinschaft zur Verfü-gung stellen. Die zum Zwecke dieser Überführung notwendige Integrationsleistung wird durch Auflösung kultureller Eigenarten geleistet sein. Ein Aufgehen in eine weitgehend effektvolle Weltmusik ist schlicht medientechnischer Imperativ. Um globale musikalische Sprache werden zu können, die sich zugleich um universelle Verständlichkeit bemüht, bedarf es der De-Lokalisierung der Musik - die Befrei-ung der Musik von ihrem Ursprung - und das heißt: frei von jedem Kontext.1 Noch einmal sei an dieser Stelle auch an Karl-Heinz Stockhausen und seine Telemusik erinnert, in der durch Speicherung verfügbar gewordene musikalische Lebenswel-ten neu aufeinander bezogen werden und die Stockhausens Version einer Weltmu-sik vorstellt. Indem er eine Weltmusik zu formen bestrebt ist, die kulturelle Phäno-mene integrieren soll, ohne diese zugleich zu zerstören („Ich will ja nichts zer-stören, sondern [...] die Selbständigkeit der einzelnen Phänomene erhalten.“2), hat er zugleich diesem Auflösungsprozeß kultureller Identitäten eingeleitet. Zwar strebt er mit seiner Musik keine Angleichung kultureller Phänomene an, er will keine „Synthese“ und „keinen riesigen Mischmasch“3, doch erkennt er nicht die mediale Botschaft, die hinter den vordergründigen Ergebnissen steht und die diese Auflösung betreibt und als Ergebnis „Synthese“ und effektvollen „Mischmasch“ schlicht vorschreibt. Dieter Schnebel sieht denn in den unterschiedlichen musikali-schen Elementen der Telemusik lediglich ein „Kolorit“, das kein wesentliches Ei-genleben mehr hat.4 Kolorit aber wäre zu übersetzen mit Farbtupfer. Um des Farb-tupfers gewahr zu werden, muß dieser auffallen, und somit ist darin nur angezeigt ein anderes Wort für Effekt. Kolorierte Weltmusik in diesem Sinne führt denn zu einer Vermischung kultureller Identitäten. „In bloßer Mischung aber wird nivel-liert, verliert das Fremde das Eigenartige und das Eigene das Fremdartige. Statt Verschmelzung aller Musiken zu einer Weltmusik - wovon Stockhausen einst träumte - wäre eher das Gegenteil anzustreben: die Rettung und Bewahrung des Besonderen in der eigenen wie der fremden Musik.“5 Bewahrung des Besonderen im Eigenen und Fremden ist schlicht unter Computerbedingungen nicht mehr auf-rechtzuerhalten. Wo Computer im Einsatz sind, verflüchtigt sich das Besondere im Eigenen wie Fremden. An dessen Stelle tritt eine andere Besonderheit: der bin-dungslose Effekt, der, gerade weil er ohne Bindungen ist, unaufhörlich dem Be-sonderen seinen Dienst erweist. 1 Vgl. Agentur Bilwet: Medienarchiv, a.a.O., S. 87 2 Stockhausen, Karl-Heinz: Texte zur Musik 1963-70, a.a.O., S 83 (???) 3 Ebd., S. 83 4 Schnebel, Dieter: Anschläge - Ausschläge, a.a.O., S. 173 5 Ebd., S. 177